Interview: Armin Scharf
Fotos: VISUELL – Studio für Kommunikation GmbH

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VISUELL – Studio für Kommunikation GmbH ERFOLGSGESCHICHTEN
„WIR SIND GENERALISTEN!“

Sie kümmern sich um Kommunikationsdesign, fokussieren sich aber immer mehr auf Kommunikation im Raum, sprich auf Ausstellungskonzeptionen mit Impact für die Gesellschaft. Das kann ein Projekt sein, wie das Obstbaumuseum in Glems, für das VISUELL den „FOCUS OPEN Gold 2024“ erhielt.

Stuttgarter Hinterhöfe sind für so manche Überraschung gut – etwa an der quirligen Tübinger Straße im Süden der Landeshauptstadt. Dort arbeitet das Team von VISUELL an unterschiedlichen Kommunikationskonzepten – an Print-Klassikern genauso wie an interaktiven Ausstellungen. Drei Etagen im ehemaligen Fabrikgebäude des Aufzugsherstellers Haushahn bieten viel Platz für Arbeitsplätze, eine große Bibliothek samt Sofa, für den obligaten Kicker und eine Küche. Hier wird tatsächlich jeden Tag gekocht – dazu gleich mehr. VISUELL hat ganz aktuell für die Konzeption, Gestaltung und Umsetzung des kleinen, aber feinen „Obstbaumuseums Glems“ den „FOCUS OPEN Gold“ erhalten. Ein guter Grund, den Hinterhof zu besuchen.

Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Was unterscheidet Visuell von anderen Büros für Kommunikationsdesign?

LAUREEN SEIDER: Wir sind Allrounder, es gibt bei uns keine Projektmanagerin oder Projektmanager, die nur auf Zahlen schauen. Jeder von uns hier ist mit den Kundinnen und Kunden in direktem Kontakt, durchgehend, von der ersten Konzeptidee bis zur Produktion. Diese ganzheitliche Betreuung ist wichtig, wir wollen unsere Kundinnen und Kunden verstehen, auch, weil sie oft nicht konkret formulieren können, was sie eigentlich benötigen. Also hören wir immer zuerst genau zu, um dann mit unserer Arbeit zu starten. Das wird geschätzt, wie viele langjährigen Beziehungen zeigen. Darauf setzen wir – Qualität geht uns vor Quantität.

LUIS SEIDER: Wir sind so auch in der Lage, Leistungen anzubieten, die nicht Standard, sondern exakt auf die Kundinnen und Kunden zugeschnitten sind und aus dem Prozess des Zuhörens und der Zusammenarbeit hervorgehen.

LAUREEN SEIDER: Ein Beispiel für Sonderlösungen ist die „Lernkiste“, die Kindern das Thema Lebensmittel und Landwirtschaft in kleinen Lerneinheiten spielerisch vermittelt. Das ist eines meiner aktuellen Lieblingsprojekte, weil es so sinnhaft ist. Wir haben das ganz offiziell für den Freistaat Bayern entwickelt.

LUIS SEIDER: Wir waren von Anfang an dabei, haben uns gemeinsam mit den Akteuren die Kernbotschaften und Inhalte erarbeitet, Pädagogen zur Vertiefung hinzugezogen und alles bis zur Produktion begleitet. Unsere Nachbarn, eine inklusive Werkstatt, hat dafür 200 Holzkisten in Kleinserie gebaut, das hat viel Spaß gemacht und nebenbei auch die Nachbarschaft gestärkt.
 


Pädagogische Lern­kiste: Ernährung in Zeiten des Klima­wandels, entwickelt für das Bayerische Staats­ministerium für Ernährung, Land­wirtschaft und Forsten, München.
 

Ist das die Art von Projekten, die Sie sich wünschen?

LAUREEN SEIDER: Ja, natürlich. Künftig wollen wir aber Architektur und Design noch mehr verbinden. Denn Kommunikation im Raum kann wertvolle Inhalte vermitteln, verbindet unsere Kompetenzen und ist sinnhaft. Was aber nicht heißt, dass wir uns nicht anpassen oder neu erfinden. Mein Patenonkel, mein Vater und meine Mutter sind mit Diashows gestartet, bei der größten Show arbeiteten 42 Projektoren mit 2.500 Dias gleichzeitig. Auch sie haben sich immer wieder neu erfunden.

LUIS SEIDER: Wir tauchen bei Ausstellungsprojekten jedes Mal inhaltlich tief in neue Welten ein. Dank des „Obstbaumuseums Glems“ sind wir jetzt halbe Streuobst-Expertinnen und -Experten. Das ist schön, weil es extrem vielseitig ist.
 
Das Obstbaumuseum wurde jüngst mit dem „FOCUS OPEN Gold“ prämiert. Warum haben Sie gerade dieses Projekt zum Award eingereicht?

LAUREEN SEIDER: Als Designerinnen und Architekten tragen wir eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir identifizieren uns stark mit dem Projekt und können absolut dahinterstehen. Über alle Leistungsphasen hinweg sind wir gemeinsam mit allen Beteiligten ans Ziel gekommen – darauf sind wir stolz.
 


Ganz aktuell: VISUELL wurde für das Projekt „Obstbaumuseums Glems“ mit dem „FOCUS Gold 2024“ ausgezeichnet.
 

Themenwechsel: Wie intensiv arbeiten Sie heute schon mit KI-Tools?

LUIS SEIDER: Wir nutzen die verfügbaren Tools natürlich, wo es sinnvoll ist und uns das Leben leichter macht. Insofern sind wir durchaus bereit, uns wieder neu zu erfinden.

LAUREEN SEIDER: Momentan sind wir aber noch nicht an diesem Punkt angelangt.

LUIS SEIDER: Die Ergebnisse sind noch sehr zufällig. Aber die Stärke der KI ist, dass sie die Furcht vor dem weißen Papier nimmt und man schneller kreativ loslegen kann.
 
Viele Ausstellungen sprechen nur die visuelle Ebene an. Was spricht gegen multisensorische Konzepte?

LUIS SEIDER: Eigentlich nichts. Wir verfolgen grundsätzlich das Ziel, so viele Sinne wie möglich anzusprechen, weil man so Wissen am besten vermitteln kann. Das ist uns im „Obstbaumuseum Glems“ gut gelungen. Aber wir stoßen auch an Grenzen des Machbaren, beispielsweise beim Thema Riechen.

LAUREEN SEIDER: Wir haben eher den Anspruch, so interaktiv wie möglich zu arbeiten, egal ob analog oder digital. Wir schauen, was wir vermitteln wollen und wo der Mehrwert ist. Dazu kommt die Barrierefreiheit mit ihren vielen Facetten, die Rollstuhl-Zugänglichkeit, die Berücksichtigung von Farbenblinden oder von Menschen mit Leseschwäche. Das ist mitunter eine Gratwanderung, weil ja nicht alles in einfacher Sprache formuliert werden kann. Wie findet man einen Weg, um alle zu bedienen – das ist die große Frage, der wir permanent nachgehen und uns regelmäßig fortbilden.
 
Temporäre Ausstellungen sind immer spannend – aber häufig auch ressourcenintensiv. Was lässt sich dagegen tun?

LUIS SEIDER: Das ist eine sehr schwierige Frage. Auf der einen Seite gibt eigentlich nichts nachhaltigeres als eine Ausstellung, die den Menschen etwas sinnhaftes vermittelt. Etwas ganz anderes ist die Nachnutzung, die man ganz früh in der Konzeptionsphase schon im Blick haben muss. Wir entwickeln gerade einen Messestand, der nicht einfach in die Tonne kommt, sondern so adaptiv sein soll, dass er für andere Veranstaltungsformate nachnutzbar ist. Wir mieten einzelne Bauteile für den Messebetrieb zu, der Großteil geht in die Umnutzung. Grundsätzlich achten wir darauf, mit regionalen Zulieferinnen und Zulieferern und zertifizierten Materialien zu arbeiten, die in die Wertschöpfungskette rückführbar sind. Die harte Wahrheit: Das ist nicht immer möglich.

LAUREEN SEIDER: Momentan konzipieren wir eine Ausstellung für den ADAC, die auf einem wiederverwendbaren Baugerüst basiert. Nur noch Paletten oder Baugerüste zu nutzen, wäre aber nicht richtig. Denn es geht auch um Ästhetik, weil sie viel zur Kommunikation und zur Wissensvermittlung beiträgt. Wenn so viele Menschen auf etwas aufmerksam werden, hat das einen viel größeren Impact hat als ein weggeworfenes Banner. Das Thema ist sehr sensibel und komplex. Mich ärgert es aber, wenn Nachhaltigkeit nur zu Marketingzwecken dient, selbst bei nicht nachhaltigen Produkten.  
 


Laureen Seider, Mediendesignerin und Dozentin für Informationsdesign an der Stuttgarter Hochschule der Medien, und Luis Seider, Architekt und Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg
 

Jetzt zum Kochen. Gerade wurde hier noch gegessen, davor selbst gekocht. Eine schöne Sache, wie läuft das ab?

LUIS SEIDER: Gut!

LAUREEN SEIDER: Einer beziehungsweise Eine gehen einkaufen, gekocht wird dann reihum, mal alleine, mal zu zweit. Die Kochzeit geht auf Kosten der Firma. Und später sitzen zwölf Menschen am Tisch. Jeder, der isst, trägt sich in eine Liste ein, abgerechnet wird dann später. Gekocht wird vegetarisch, so oft wie möglich mit Bioprodukten und nicht nur Nudeln mit Sauce. Nebenbei ist das Essen auch eine Zeit für den gemeinsamen Austausch.

LUIS SEIDER: Zudem ist es günstig, wo bekommt man sonst ein Mittagessen dieser Qualität für zwei bis fünf Euro.

LAUREEN SEIDER: Und im nächsten Sommer werden wir hier hinten im Hof ein Hochbeet für eigenes Gemüse bauen.
 
Letzte Frage: Sie sind die zweite Generation im Betrieb. Wie lief die Übergabe ab?

LAUREEN SEIDER: Sagen wir es mal so: als Tochter bekommt man nichts geschenkt. Man wird von den Bestandskundinnen und -kunden schon sehr geprüft, muss sich überall beweisen. Mir hat das aber Spaß gemacht. Mein Patenonkel ist inzwischen im Ruhestand, meine Eltern sind nach wie vor mit Projekten aktiv, alle drei sind noch Gesellschafter. Das läuft inzwischen wunderbar.

LUIS SEIDER: So eine Übergabe ist auch ein Vertrauensthema. Man muss erkennen, dass es gut geht, auch wenn die Dinge anders laufen. Wir treffen eben manche Entscheidungen anders und gehen Dinge anders an, das ist klar. Letztlich geht es darum, im Sinne des Unternehmens richtig zu agieren. Diskussionen gibt es immer mal wieder, was gut ist, weil man dann über bestimmte Punkte nochmals nachdenkt.

LAUREEN SEIDER: Wir müssen lernen, uns manches sagen zu lassen, während die andere Seite das Loslassen lernt, und auch, wenn wir anders agieren. Gleich geblieben ist der Anspruch an Menschlichkeit und Qualität. Das verbindet uns alle, hier intern und auch mit unseren Auftraggeberinnen und Auftraggebern.


 

VISUELL – Studio für Kommunikation GmbH

1986 von den Medieningenieuren Alexander Knaus und Horst Jäkel gegründet, wird das Studio VISUELL seit 2022 von der zweiten Generation geführt: Laureen Seider ist Mediendesignerin und Dozentin für Informationsdesign an der Stuttgarter Hochschule der Medien, Luis Seider ist Architekt und Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg. Das Studio mit zwölf Mitarbeitenden wurde bereits zwei Mal mit einem „FOCUS OPEN“ ausgezeichnet – zuletzt 2024 mit dem Gold-Award für die Neugestaltung des Obstbaumuseums in Glems.


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