Interview: Armin Scharf
Fotos: Karuun GmbH
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KARUUN GMBH INTERVIEW
rATTAN NEU GEDACHT

Rattan – das stand früher für knarzende Flechtmöbel. Doch aus Rattan entsteht ein hypermodernes Material, das Benchmarks in Sachen Nachhaltigkeit, Optik, Haptik und Funktionalität setzt. Erdacht wird es in Kißlegg, produziert in Indonesien. Warum, das sagt Teresa Rothäusler im Interview.

Rattan wächst quer durch den Regenwald, mag keine Monokulturen und lieferte einst die Grundlage für traditionell geflochtene Möbel, die leicht und durchaus robust waren. Doch Rattan wurde unmodern, durch andere Werkstoffe ersetzt und verschwand weitgehend aus den hiesigen Interiors. Dabei bietet die Ressource allerlei positive Eigenschaften – gerade für neue Anwendungskontexte.
 

„KARUUN®“ AUF DER EXPO RETHINK:DESIGN KLIMARELEVANZ


Übrigens ist „Karuun®“ auch in der Ausstellung „EXPO RETHNIK:DESIGN Klimarelevanz“ vertreten, die vom Design Center Baden-Württemberg kuratiert wurde und bis zum 04. Juli 2024 noch im Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg auf Ihren Besuch wartet.
 

2016 machten sich die beiden Designer Julian Reuter und Peter Kraft daran, Rattan ganz anders zu nutzen. Sie gründeten das Start-up Out for Space und verwandelten Rattan in „Karuun®“. Der biobasierte Werkstoff überrascht mit seiner Optik und seinen technischen Werten – so sehr, dass die Autoindustrie aufmerksam wurde und mit „Karuun®“ einen Weg für nachhaltigere Konzepte fand. Das ist aber nur der Anfang, sagt Teresa Rothäusler im Interview.

 

Die Neuentdeckung eines bioökonomischen Material.
 

Der Rohstoff Rattan, den Sie nutzen, lässt sich wohl kaum als Hightech-Material bezeichnen. Warum Rattan?

TERESA ROTHÄUSLER: Rattan bietet eine Vielzahl von Vorteilen, die es zu einem äußerst wertvollen Rohstoff machen. Rattan, eine Palmenart mit etwa 600 Unterarten, wächst bis zu fünf Meter pro Jahr, also sehr schnell und gedeiht sowohl in Primär- als auch in Sekundärwäldern tropischer, meist indonesischer Regenwälder. Rattan geht eine Symbiose mit dem umliegenden Wald ein, weil es die Unterstützung der anderen Bäume benötigt, um zu gedeihen. Je nach Art wird Rattan bis zu 10 Zentimeter dick und 150 Meter lang. Diese beeindruckende Länge und Dicke machen Rattan zu einem vielseitigen Material. Der Anbau von Rattan trägt also zum Schutz der Regenwälder bei und fördert eine nachhaltige Landnutzung. Organisationen wie Fairventures Worldwide und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützen Projekte zur nachhaltigen Nutzung von Rattan, damit keine Monokulturen entstehen und Rattan nur im Regenwald kultiviert wird. Die Ernte erfolgt schonend von Hand.

Bemerkenswert an Rattan ist seine hohe Elastizität und die thermische Formbarkeit. Mit etwa 400 kg/m³ ist Rattan leicht und dennoch robust. Seine homogene, maserungsfreie Struktur und die parallel verlaufenden Fasern verhindern die Splitterbildung, was es besonders sicher und angenehm in der Verarbeitung macht. Zudem ist Rattan aufgrund seines Kieselsäuregehalts schwer entflammbar.
 


Das Rattan für „Karuun®“ wird von den Bauern von Hand und ohne schwere Maschinen geerntet. 

Sie arbeiten mit indonesischen Partnerinnen und Partnern vor Ort zusammen – wie profitieren die von „Karuun®

TERESA ROTHÄUSLER: Wir beteiligen uns an Projekten zur Ausbildung der Rattanbauern, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie der Infrastruktur in den Dörfern. Die Verwendung von Rattan erhöht den Stellenwert von Tropenwäldern, schafft ein langfristig stabiles Einkommen für die Bäuerinnen und Bauern und dadurch einen Anreiz zum Erhalt der Waldressourcen.
 

Ich kann mich an ein Gespräch mit Julian Reuter, einem der beiden Gründer von Out for Space, erinnern. Das war 2016. Was hat sich seitdem getan?

TERESA ROTHÄUSLER: Unser Team ist um einiges größer geworden. Was einst ein kleines, engagiertes Gründerteam war, hat sich inzwischen zu einer multidisziplinären Gruppe aus Fachleuten entwickelt. Das ermöglicht es, unser Know-how zu vertiefen und eine breitere Palette an Projekten gleichzeitig zu managen.

Mit unseren Halbfertigwaren konnten wir zahlreiche namhafte Kundinnen und Kunden gewinnen. Diese Produkte haben sich aufgrund ihrer innovativen Eigenschaften und ihrer Nachhaltigkeit auf dem Markt etabliert. Besonders stolz sind wir darauf, den chinesischen Automobilhersteller Nio zu unseren Kunden zählen zu dürfen. Die Zusammenarbeit mit Nio hat uns gezeigt, dass unsere Materialien in der Automobilindustrie großen Anklang finden und dort Nachhaltigkeit und Ästhetik verbinden. Momentan befinden wir uns in spannenden Gesprächen über weitere Partnerschaften, die uns vor allem in der Architektur- und Designbranche zu mehr Sichtbarkeit verhelfen könnten.
 


Der chinesische Automobilhersteller Nio verwendet die innovative Materialrevolution und schlägt die Brücke zwischen Nachhaltigkeit und Luxus.
 

Damit aus Rattan die „Karuun®“-Halbzeuge werden, muss das Rohmaterial ertüchtigt werden – passiert das in Kißlegg?

TERESA ROTHÄUSLER: Ein wichtiger Aspekt unserer Unternehmensphilosophie ist die nachhaltige Gestaltung der Liefer- und Prozesskette. Wir wollen daher die größtmögliche Wertschöpfung in Indonesien erzielen – deshalb findet der gesamte Verarbeitungsprozess dort vor Ort statt. Dies nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern auch, um unserer soziokulturellen Verantwortung gerecht zu werden und die lokale Wirtschaft zu unterstützen.
 

Und dieser Prozess sieht wie aus?

TERESA ROTHÄUSLER: Unsere Verarbeitungstechnologie nutzt die charakteristischen Kapillaren von Rattan. Erstmals ist es möglich, den gesamten Querschnitt der Rattanstangen in einem Arbeitsschritt zu behandeln. Wir injizieren mit geringstem Energieaufwand licht- und UV-stabile Farbpigmente gleichmäßig und tief in die natürlichen Kapillaren der geschälten Stangen. Nach diesem Schritt fräsen wir die „Karuun®“-Stange quadratisch, die so entstandenen Kantlinge werden dann zu Platten verleimt und zu Blöcken gepresst.

Ein besonderer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass wir auch die anfallenden Rattanfasern weiterverarbeiten können, was die Ressourceneffizienz zusätzlich steigert. Je nach Schnittrichtung zur Faser ergeben sich unterschiedliche Materialeigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten. Der vertikale Schnitt führt zu den robusten und verformbaren Produkten „Karuun® stripe“ und „Karuun® 3D“, während das licht- und luftdurchlässige „Karuun® shine“ durch horizontale Schnittführung entsteht.
 

Bleibt da der Rattan-Charakter noch erkennbar?

TERESA ROTHÄUSLER: Ja, denn trotz dieser erheblichen Modifikation erhalten wir die charakteristische Faserstruktur, die dabei in die Fläche übergeht. Das verleiht unseren Produkten eine unverwechselbare Optik und Haptik, der natürliche Ursprung bleibt dabei bewahrt.
 


Das Material findet in vielen Bereichen seine Einsatzmöglichkeit. 
 

Das Material ist optisch sehr attraktiv. Was spricht für die Verwendung?

TERESA ROTHÄUSLER: Da wäre die individuelle Kapillarfarbe – es ist möglich, fast jede Farbe und Kombination zu realisieren, was eine unglaubliche Gestaltungs-Flexibilität bringt. Außerdem bleibt die Farbstruktur nach dem Schneiden vorhanden, was nahtlose optische Anwendungen erlaubt. Es gibt keine sichtbaren Leimstellen, was dem Endprodukt eine besonders hochwertige und ästhetische Erscheinung verleiht. Das Material ist zudem dreidimensional verformbar, es kann also in verschiedene komplexe Formen gebracht werden kann, ohne seine Eigenschaften zu verlieren.

„Karuun®“ zeichnet sich durch eine fehlerfreie und gleichmäßige Oberfläche aus. Zudem eignet es sich dank seiner Transluzenz bestens für die Integration interaktiver Lichtelemente. Seine geringe Dicke ermöglicht zudem versteckte Sensorsteuerungen. Da keine chemische Behandlung nötig ist und der Rohstoff nachwächst, ist „Karuun®“ nachhaltiger und umweltfreundlicher als synthetische Materialien. Hohe Festigkeit, geringes Gewicht und Langlebigkeit kommen sozusagen on top dazu.
 

Ein wichtiger Punkt für die Praxis: braucht es zur Verarbeitung des Halbzeugs Spezialmaschinen?

TERESA ROTHÄUSLER: „Karuun®“ lässt sich genauso einfach nutzen wie andere Holzfurniere auch, jede Schreinerin und jeder Schreiner, jede Handwerkerin und jeder Handwerker kann damit arbeiten. Der dreidimensionale Verformungsprozess nutzt die organische Dynamik dieses Materials und ist mit dem Kunststoff-Tiefziehen vergleichbar.
 


Die Produktion: „Karuun®“ wird nicht nur aus einem Material gewonnen, das enormes Potenzial in der Verarbeitung birgt, sondern bringt Wirtschaftlichkeit, soziale und ökologische Interessen auf eine Stufe.

Welche Branchen sollten sich für Ihr Material interessieren?

TERESA ROTHÄUSLER: Beginnen wir mit Green Mobility. Ein gutes Beispiel ist das serienmäßige Interieur der Elektroautos von Nio, für das „Karuun®“ genutzt wird – es hat den Grundstein für weitere Anwendungen im Automobil- und Luftfahrtsektor gelegt. Besonders hervorzuheben ist das patentierte „Karuun® conductive“, welches wir als natürliches, interaktives Oberflächenmaterial anbieten. Diese Innovation unterstützt unseren Anspruch, disruptive Naturetech-Materialien anzubieten, die neue Maßstäbe setzen.

Im Bereich der „Sustainable Architecture“ wollen wir den effizienten Umgang mit Ressourcen wie Material, Raum und Energie weiter optimieren – und den ökologischen Fußabdruck von Bauprojekten minimieren. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Ausstattung des „Museum of the Future“ in Dubai. Dieses Projekt sehen wir als Katalysator, um uns in weiteren Großprojekten global zu etablieren. Übrigens können wir in Konsumgütern, Sportartikeln und elektronischen Geräten gezielt Kunststoffe ersetzen.
 

Sie haben verschiedene Awards gewonnen – beispielsweise den Innovationspreis Bioökonomie Baden-Württemberg. Wie wichtig sind solche Auszeichnungen?

TERESA ROTHÄUSLER: Sehr, denn sie sind eine wunderbare Bestätigung unserer Arbeit und unseres Engagements für nachhaltige Innovationen. Neben dem genannten Innovationspreis Bioökonomie Baden-Württemberg sind der Signs-Award sowie die Nominierungen für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021, 2022 und 2023 wichtig für uns. Die Auszeichnungen erhöhen die Sichtbarkeit unseres Unternehmens und unseres Materials. Außerdem gewinnen wir an Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei unseren Partnerinnen, Partnern, Kundinnen und Kunden.
 

Was sagt der Plan für die nächsten Jahre?

TERESA ROTHÄUSLER: In fünf Jahren sehen wir Out for Space als die weltweit führende Plattform für Naturetech-Materialien. Wir möchten die Materialwelt revolutionieren, indem wir nachhaltige und umweltfreundliche Alternativen bieten. „Karuun®“ soll das Synonym für nachhaltige, innovative und vielseitige Materialien werden, die Out for Space entwickelt.
 

Karuun gmbh


Die Karuun GmbH ist Teil von Out for Space mit Sitz in Kißlegg, zu der auch die Out for Space GmbH (Pro­duct- und Supply-Chain-Management, Research und Design) und die KPPA Indonesia (Produktion, Qualitäts­management) gehören. Die Karuun GmbH ist für Marketing und Vertrieb des gleichnamigen Materials zu­ständig. Das Karuun-Team besteht aus aktuell 17 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.

karuun.com