Interview: Armin Scharf
Fotos: DO Climate
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DO CLIMATE INTERVIEW
DR. ODETTE DEUBER SPRICHT MIT DESIGN-JOURNALIST ARMIN SCHARF ÜBER Klima- und Nachhaltigkeits­strategien.

Das klimaneutrale Unternehmen scheint einfach machbar, suggeriert jedenfalls die Werbung. Aber das ist es nicht, so Dr. Odette Deuber, schließlich gehe es dabei um sehr viel mehr. Dafür muss man schon etwas weiter ausholen.

Viele kleine und mittlere Unternehmen, darunter auch Designagenturen, stehen vor der Frage, was die eigene Klimaneutralität eigentlich bedeutet – und natürlich, wie diese erreicht werden kann. Klar ist, dass das Thema ganz oben auf die unternehmerische Agenda gehört, egal, ob es sich um ein Handels-, Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen handelt. Nur so wird es gelingen, sich auf die kommenden Marktveränderungen vorzubereiten. Der Markt von morgen erwartet das, egal ob B2C oder B2B. „Nur wer konsequent in Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit denkt, kann heute die Produkte für morgen entwickeln“, sagt Dr. Odette Deuber. Die Umweltingenieurin ist Inhaberin des Büros DO Climate in Tübingen, das vor allem mittelständische, inhabergeführte Unternehmen in Sachen Klima- und Nachhaltigkeitsstrategien berät.

Dr. Odette Deuber, DO Climate
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Immer mehr Unternehmen bezeichnen sich als klimaneutral. Doch wann ist man tatsächlich klimaneutral?

DR. ODETTE DEUBER: Obwohl der Begriff in aller Munde ist, gibt es kein gemeinsames Verständnis, was er bedeutet. Auch, weil sich seine Bedeutung gerade wandelt. In der Vergangenheit war die Vorgehensweise klar, um klimaneutral zu werden. Ich bilanziere mein Unternehmen, ich reduziere CO2-Emissionen da, wo es möglich ist. Den Rest gleiche ich mit Zertifikaten aus, die Emissionsminderungsprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern unterstützen. Im Prinzip war das recht einfach. Doch eigentlich geht es darum, dass ein Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette klimaneutral wird, aus eigener Kraft, also ohne Ausgleich. Mit anderen Worten: Das Ziel ist, dass unser Wirtschaften keine Treibhausgas-Emissionen mehr verursacht oder diese sogar bindet. Genau dafür benötigen wir kreative Designlösungen. 
 
Also ist es mit der Klimaneutralität doch nicht so einfach?
 
DR. ODETTE DEUBER: Damit ein Unternehmen aus eigener Kraft klimaneutral werden kann, braucht es belastbare Klimaziele. Es muss sich damit auseinandersetzen, was das Klimaziel von Paris, was das 2-Grad-Ziel und das 1,5-Grad-Ziel für das eigene Unternehmen und die Wertschöpfungskette bedeutet. Es geht mit der Frage einher, wie das Unternehmen im Jahr 2035 aussehen soll. Ist es überhaupt möglich ist, mit dem bestehenden Geschäftsmodell und den Produkten klimaneutral zu werden? Die Bilanzierung ist einerseits wichtig, um den Status quo zu ermitteln, andererseits dient sie als Basis für die Entwicklung der Roadmap zum klimaneutralen Unternehmen. Neben technischen Maßnahmen steht insbesondere die Bewusstseinsbildung und Kommunikation im Vordergrund. Es sind immer Mitarbeitende da, die zu mehr Nachhaltigkeit beitragen wollen und kreative Ideen haben. Was wäre beispielsweise, wenn diejenigen, die sich für das Thema begeistern, die Köpfe zusammenstecken würden? Wie wäre ein gemeinsames Brainstorming mit Kund:innen zum Thema Klimaneutralität? So entstehen neue Perspektiven, Kooperationen und das, was wir uns wünschen: Innovation.
 
Ist es damit getan, den Status der Klimaneutralität erreicht zu haben?
 
DR. ODETTE DEUBER: Streng betrachtet, kann ein einzelnes Unternehmen derzeit gar nicht klimaneutral werden, weil es dazu die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft braucht, also die Agrar-, Energie- und Verkehrswende. Klimaschutz ist nur der Anfang, eigentlich geht es um Nachhaltigkeit. Auch hier stellt sich die Frage, wie mein Unternehmen in einer nachhaltigen Welt bestehen kann. Heute reden wir über Klimaneutralität, spätestens in fünf Jahren werden die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die SDGs, im Vordergrund stehen. Dann messen wir Unternehmen nicht mehr an deren Klimazielen, sondern daran, was sie zu einer nachhaltigen Wirtschaft und zum Gemeinwohl betragen.
 
Wie also sehen Unternehmen der Zukunft aus?
 
DR. ODETTE DEUBER: Ein Unternehmen, das heutzutage sagt, es sei klimaneutral und als glaubwürdig eingestuft werden will, hat eine CO2-Bilanz, eine Roadmap hin zu Klimaneutralität und ein hohes Bewusstsein für das Thema. Es schafft Transparenz in seiner Lieferkette, sorgt für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards in seinem Umfeld, entwickelt Produkte im Kreislaufsinne, zum Beispiel mit regenerativen Materialien, die CO2 binden. Unternehmer:innen werden so Teil der Lösung. Sie engagieren sich gesellschaftlich, da die sozial-ökologische Transformation nur gemeinsam gelingen kann.
 
Unternehmen, die mit Lieferant:innen und Kund:innen gemeinsam neue, nachhaltige Geschäftsmodelle initiieren, werden die Zukunft sein. Es geht um ein anderes Mindset, wie man wirtschaftet. Das hat mit Klimaschutz zunächst nichts zu tun, mittelbar aber schon.
 
Zurück zur Kompensation, die mitunter wie Ablasshandel anmutet.
 
DR. ODETTE DEUBER: Das würde ich so nicht sagen. Zumindest nicht, wenn Unternehmen alles getan haben, um ihre Emissionen zu reduzieren und nur den unvermeidbaren Rest ausgleichen. Ich sehe den Ausgleich auch als Investition in die nachhaltige Entwicklung, als Wissenstransfer, Stärkung der lokalen Wertschöpfung und der Bildung in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Kompensationsprojekte werden heute an ihrem Beitrag zu den SDGs gemessen, nicht allein am Klimaschutz. Allerdings befindet sich der Kompensationsmarkt im Umbruch. Denn mit dem Paris-Abkommen haben die Entwicklungs- und Schwellenländer eigene Emissions- und Reduktionsziele erhalten. Dadurch ist die Zusätzlichkeit von Ausgleichsprojekten nicht mehr gegeben. Diese Veränderung ist noch nicht so richtig im Markt angekommen.
 
 
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Kann man als KMU seine Bilanz selbst erstellen oder ist eine umfassendere Beratung sinnvoller?
 
DR. ODETTE DEUBER: Die Erstellung einer CO2-Bilanz sollte stets nach internationalen Standards erfolgen. Dafür sorgen Klimaschutz-Dienstleister oder auch webbasierte Tools.
 
Um jedoch Menschen zum Handeln zu bewegen, bewährt sich meiner Erfahrung nach, den Weg in die Klimaneutralität mit Leben zu füllen, also durch Bewusstseinsbildung, Austausch im Team und Geschichten, die berühren und motivieren. Dies spricht für die persönliche Beratung, die auch aufzeigt, was auf dem Spiel steht, was es auf dem Weg zu gewinnen gibt, wie man optimal wirksam wird und wer bereits Wegbegleiter ist. Daraus entsteht das Bild einer gestaltbaren Zukunft.
 
Nun produzieren Designagenturen meist keine eigenen physischen Produkte. Und dennoch sollte das Thema auf deren Agenda. Warum?
 
DR. ODETTE DEUBER: Weil Sie in der Lage sind, das Mindset Ihres Umfelds durch kreative Ideen und Kommunikation zu prägen. Sie sind es, die die Produkte von morgen entwickeln. Sie können Menschen ermutigen, in dem Sie aufzeigen, wie man mit einem klimafreundlichen, nachhaltigen Produkt einen Gewinn an Lebensqualität schafft. Sie entwickeln Dinge, die begeistern und Mut machen. So können sie die sozial-ökologische Transformation mit Ihrer Gestaltungskraft prägen.
 
Ganz abgesehen davon tritt eine andere Generation ins Arbeitsleben, die Arbeitgeber daran misst, wie sie in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt sind. Da hilft es nicht, sich schnell mal klimaneutral zu stellen, es geht darum, wie das Mindset gelebt wird. Und darum, ob das Unternehmen einen Beitrag zum Gemeinwohl leistet. Es geht um die Haltung, den Umgang mit Gesellschaft und Natur.
 
Normalerweise denken wir in schrittweisen Optimierungen. Eine Transformation ist aber mehr.
 
DR. ODETTE DEUBER: Richtig. Wir sind eingeladen, vom Ziel her zu denken, radikaler, disruptiver. Das scheinbar Bewährte gilt es zu hinterfragen. Und wir sollten bereit sein, unser Verhalten von heute auf morgen zu ändern. Wir können das, wenn wir wollen. Dafür sind Vorbilder wichtig, auch auf Unternehmensebene. Wir müssen zuhören, voneinander lernen und uns vor Augen führen, was auf dem Spiel steht, aber auch, was es zu gewinnen gibt. Gemeinsam.

NEUN Tipps für den Weg zur Klimaneutralität

  1. Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen – am besten von einem Stromanbieter, der maßgeblich zur Energiewende beiträgt
  2. Wärmeenergie einsparen durch geringere Raumtemperaturen und selektiver Beheizung
  3. Anfahrt der Mitarbeitenden betrachten, Carsharing, ÖPNV-Nutzung oder Jobrad fördern
  4. Ernährungsangebote im Unternehmen und bei Veranstaltungen vegetarisch oder vegan andenken, regionale Quellen bevorzugen
  5. Nachhaltige Beschaffung: ist der Lieferant oder Hersteller Teil der Lösung?
  6. Ressourcenverbrauch reduzieren
  7. Wahre Preise bezahlen
  8. Die Klimarelevanz bei Investitionsentscheidungen immer mitdenken, wahre Preise berücksichtigen
  9. Andere Menschen für ein Sinn stiftendes gesellschaftliches Engagement gewinnen, im privaten Umfeld, im Unternehmen selbst, aber auch im beruflichen Umfeld.

DO CLIMATE

DO Climate wurde 2020 von Dr. Odette Deuber gegründet. Das derzeit fünfköpfige Team aus Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsberater:innen begleitet mittelständische Unternehmen und Organisationen bei der Transformation. Odette Deuber baute 2013 bis 2019 als geschäftsführende Gesellschafterin den Think-Tank KlimAktiv GmbH mit auf und ist im Vorstand des Bundesverbandes Nachhaltige Wirtschaft BNW.