Die Zukunft braucht adaptive Produkte

Kann ein Quader eine Designauszeichnung bekommen? Ja, natürlich, sagte die Jury des Focus Open im Jahre 2018 und verlieh dem „Xbrick“ gleich einen Gold-Award. Auf den ersten Blick mag das überraschen, aber es lohnt sich genau hinzuschauen, denn der „Xbrick“ ist natürlich weit mehr als eine banale Kiste. Er ist Hocker, Ablage, Bank, Stehpult, Thron, Bühne, kurz multifunktional – und besteht aus expandierten Polypropylen (EPP).


Einfach, reduziert und damit multifunktional: Der „Xbrick“ ist in allen möglichen Kontexten einsetzbar – und der Nukleus für sinnvolle Produktergänzungen mit Zusatzfunktionen (Foto: Bernd Kammerer).

Entwickelt hat das durchaus smarte Produkt Michael Daubner mit seinem kleinen Team von wd3 in Stuttgart. Daubner ist gelernter Schreinermeister, Holztechniker und war Meisterschüler bei Arno Votteler. Er gehörte zu den wenigen, die in den 1990er-Jahren vom damaligen Landesgewerbeamt ein Talent-Stipendium erhielten.

Ein Gespräch mit Michael Daubner über Reduktion, Raffinesse und Technologiewissen.
Interview: Armin Scharf

War die Konzeption des „Xbrick“ so einfach, wie das Produkt zunächst aussieht?
Natürlich nicht. Einfachhheit interessiert mich schon immer, aber das Einfache ist bekanntlich oft schwierig. So haben wir ungefähr ein Jahr intensiv an der Umsetzung gearbeitet und sind dabei sehr weit in das Werkstoffthema eingestiegen. Schließlich wollten wir ein leichtes, einstofflich aufgebautes, schadstofffreies, nachhaltiges und vielseitig kombinierbares, also adaptives Produkt haben. Weil wir keine großen Stückzahlen anvisieren, fallen ja bestimmte Produktionsprozesse von vornherein raus, mit EPP glaubten wir eine problemlose Lösung gefunden zu haben. Aber tatsächlich trafen wir schnell auf Vorbehalte bei möglichen Produktionspartnern.

Wieso das? EPP ist doch eigentlich ein etabliertes Material.
Ja schon, aber wir wollten ja ein Produkt mit scharfen, präzisen Kanten, geringen Toleranzen, einer exakt strukturierten und robusten Oberfläche – das ist nicht Standard bei EPP. Außerdem sollte der Quader innen hohl sein sowie aus zwei Gleichteilen bestehen, die sich dann möglichst ohne sichtbare Fugen verbinden lassen. Da winkten viele Produzenten schnell ab. Schließlich haben wir dann doch ein Unternehmen gefunden, das mit uns den Weg der Umsetzung ging. Das war für alle eine Herausforderung, weil wir direkt an der Maschine die Prozessparameter austesteten und optimierten.

Der „Xbrick“ ist ein Eigenprodukt, das wd3 selbst vertreibt. Wie ist das machbar?
Wir haben gute, sehr flexible Partner. Schließlich können wir keine Großmengen auf Lager produzieren, sondern machen das entsprechend der Nachfrage. Der Produktionspartner liefert die Halbschalen zu den Remstal-Werkstätten der Diakonie Stetten in Schorndorf, wo sie dann in Handarbeit montiert werden und von dort in den Vetrieb gehen. Der „Xbrick“ hat uns eine ordentliche Lernkurve abverlangt, wir mussten uns auch um Qualitätsvorgaben und Vermarktung kümmern. Aber ein Eigenprodukt ist eine gute Sache, zumal wir Patente angemeldet haben und inzwischen von jährlich bis zu 10.000 verkauften Exemplaren ausgehen.

Vorhin fiel das Stichwort „adaptiv“. Wie war das gemeint?
Die Adaptierbarkeit eines Produktes ist meiner Meinung nach von zentraler Wichtigkeit. Gutes Design muss Anpassungen durch die Nutzer*innen zulassen, ja fördern und dies auch signalisieren. Als Gestalter konzipieren wir diese Variabilität bereits mit ein, wir bieten eine Art Möglichkeitswolke, aus der man sich als Nutzer*in bedienen kann. Natürlich ist das eine Herausforderung, auf die wir Designer besser eingehen sollten. Je reduzierter ein Produkt, umso einfacher lässt es sich situativ adaptieren. Auch das ist ein Nachhaltigkeitsaspekt.

Inwiefern?
Ein Produkt mit variablem Nutzungsszenario ist universeller, macht Spezialprodukte überflüssig. Wir haben zum Beispiel dem „Xbrick“ eine ganze Reihe von Ergänzungen zur Seite gestellt, die die Nutzungsbreite sogar noch erhöhen, also Rückenlehnen, Sitzflächen, Verbinder. Das Basisprodukt ist immer identisch. Wir müssen anders denken, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, es geht um Werkstoffe, um Logistik, um Produktion und die Lieferkette. Das wird schon bald eine wesentliche Kundenanforderung sein, daher setzen wir uns schon heute intensiv mit diesem Thema auseinander und entwickeln Lösungen.

Foto: Bernd Kammerer (flomo Xbrick), Uwe Kassai (roof_loop)

Was bedeutet das konkret?
Wir müssen uns als Designer*innen viel mehr Technologiewissen aneignen, mehr Materialkenntnisse. Damit meine ich ein breites Grundwissen und die Fähigkeit, es bei spezifischen Aufgaben schnell auszubauen. Gestaltung erschöpft sich nicht nur in der Formensprache, sondern auch in Aspekten wie Sortenreinheit, Trennung, Footprint. Als wd3 denken wir in die Breite und können Erkenntnisse auf andere Projekte übertragen. Das ist mit ein Grund, uns als Designer*innen in Entwicklungsprozesse einzubeziehen. Gerade KMUs suchen nach anderen Wegen, ihr Potenzial, ihr Knowhow zu nutzen und benötigen dafür unsere Expertise. Denn viele Unternehmen sind in ihrer technischen Perspektive gefangen, benötigen einen agilen Partner von außen, der außerhalb von Normen denkt, ausprobiert und neugierig ist. Das ist kreatives Arbeiten, nur auf einer etwas anderen Ebene. Dazu gehört für uns auch zu ermitteln, welche Möglichkeiten unser Partner überhaupt hat und welche Lösungen passen.


Rund um den „Xbrick“ gesellen sich weitere mobile Produkte, hier das „flomo board“ in unterschiedlichen Aufstellvarianten – ideal für agile Projektsprints (Foto: Bernd Kammerer).

Bezeichnen Sie wd3 daher auch als Entwicklungsbüro?
Genau. Wir sind ein Designbüro, aber kein klassisches, weil wir tief in die erwähnten Skills unserer Kunden reingehen. Wir sehen uns eher als Entwickler, als Partner für Konstruktion, Technik und Umsetzung. Wir haben die Schnittstelle zur Fertigung genauso im Blick wie die Umsetzbarkeit aller Facetten eines Produktes. Und wir beobachten, was sich im Markt verändert.

Zum Beispiel?
Momentan erleben wir in Echtzeit, wie sich das etablierte Modell des Büros auflöst. Büroarbeit wird viel flexibler und vor allem dezentraler. Viele Unternehmen werden die Arbeit weitgehend ins Home Office verlagern, während man sich in der Firma nur noch temporär trifft, etwa in Projektgruppen. Das passiert dann eher informell in Working Spaces, die wiederum andere Anforderungen an den Raum und dessen Ausstattung haben. Da sehen wir neben dem „Xbrick“ auch viele andere Produkte, die wir unter dem Label „wp_westermann products“ für die Karl Westermann GmbH + Co. KG entwickeln. Auch hier geht es um Umnutzbarkeit.


In der Vertikalen mobil ist die Variante „Tisch A Plus” mit Stahlgestell und motorischer Höhenverstellung (Foto: Bernd Kammerer).

Das dürfte ja auch das große Thema für das Home Office sein.
Die Produkte müssen ins betriebliche Büro wie ins Home Office passen. Wir brauchen Möbel, die hoch funktional und wandelbar sind, zugleich aber auch ästhetisch in das Wohnumfeld passen. Wir betrachten immer das Zusammenspiel von Raum und Mensch, es geht uns darum, das Umfeld an die Belange des Menschen anzupassen, nicht umgekehrt. Dabei spielen Multiuse-Produkte eine große Rolle, warum kann ein Bett nicht auch ein Schreibtisch sein? In dieser Richtung sind wir bereits unterwegs und denken gerade ein passendes neues Produkt an.

wd3 GmbH

Das Stuttgarter Design- und Entwicklungsbüro wurde 2016 von Frank Westermann und Michael Daubner gemeinsam gegründet. Westermann ist Leiter der Karl Westermann GmbH + Co. KG in Denkendorf, ein Unternehmen, das seine Wurzeln im Innenausbau hat und sich verstärkt auch im Büromöbelmarkt positioniert. Die Ideen und Konzepte dafür liefert wd3, arbeitet aber auch für andere Kunden.
www.wd3.design


Das Kernteam von wd3: Santiago Bloise, Helen Scholz, Michael Daubner und Rebekka Reeber (Foto: wd3)