Innovationspartner

whiteID ist für Hersteller von Kinderprodukten eine wichtige Anlaufstelle, denn hier bekommen sie nicht nur Designleistungen, sondern komplette Produktentwicklungen. Und die sind – nicht nur bei Kindersitzen – überraschend komplex.

whiteID allerdings auf Kinderprodukte zu reduzieren, wäre falsch. Denn das Designbüro in Schorndorf widmet sich auch ganz anderen Thematiken. Und doch, Rückhaltesysteme – sprich Kindersitze für das Auto – gehören zu den zentralen Projekten des Büros. Produkte, die entgegen des ersten Blickes ausgesprochen komplex sind und mehrere Entwicklungsjahre erforden. whiteID versteht sich dabei nicht nur als Formgeber, sondern entwickelt die Sitze vom Prozess der technischen Konzeption über erste Studien bis zum Endprodukt, inklusive aller Zulassungen, Tests und Marktrecherchen.

Wir sprachen mit Andreas Hess, einem der beiden Geschäftsführer über Kinder, Lizenzhonorare und Designawards.
Interview: Armin Scharf
 
whiteID entwirft viele Produkte für Kinder, war das eine strategische Entscheidung?
Wir haben das nicht aktiv betrieben, es ist über die Jahre so gewachsen. Nachdem wir ein Kinder-Rückhaltesystem für das Auto konzipiert hatten, kamen sukzessive immer mehr verwandte Unternehmen hinzu. Inzwischen haben wir von Schnullern über Schulranzen bis zum Spielzeug schon fast alles im Kinder-Kontext bearbeitet. Wir legen uns aber keinesfalls auf dieses Thema fest, auch wenn es nach einem Schwerpunkt aussieht.
 

Bereits 2010 entwickelt, gehört der „Transformer“ (Hersteller Concord) zu den meistverkauften Sitze für
Kinder zwischen 3 und 12 Jahren. Alle Funktionen sind intuitiv per Knopfdruck bedienbar und so miteinander synchronisiert, dass Fehlbedienungen vermieden werden.

 
Gehen Sie Kinderprodukte anders an?
Nein, der Entwicklungsprozess unterscheidet sich nicht von dem anderer Produkte. Denn auch hier kommen ganz viele unterschiedliche Aspekte zusammen, gerade die Konzeption von Kindersitzen ist recht komplex. In der Regel läuft eine Entwicklung mindestens über drei Jahre. Es geht dabei um Normen, Zulassungen, um die Ergonomie, den Komfort für die Kinder, um Sicherheit, intuitive Bedienung und nicht zuletzt um Emotionalität. Hier spielt der Lebensstil der Nutzer eine grosse Rolle bei der Auswahl und Entscheidung für ein Produkt. Material, Struktur, Farbe habe einen enormen Einfluss auf Akzeptanz und Kaufentscheidung. In vielen Fällen beginnen wir die Projekte deshalb mit ausführlichen Recherchen und Analysen auf allen Ebenen, um alle Aspekte die zur Konzeption beitragen zu verstehen, bevor wir nuns den technischeren Fragen des Projekts widmen.
 
Kann man Sicherheit gestalten?
Es gibt Untersuchungen, die haben speziell für Kinder-Rückhaltesystemen großes Verbesserungspotenzial bei der Bedienung, respektive der Vermeidung von Fehlbedienungen, festgestellt. Denn oft sind solche Fehlbedienungen seitens der Nutzer für Probleme verantwortlich, etwa eine falsche Platzierung im Auto oder falsch genutzte Gurtführungen. Reduziert man diese Fehlerquellen, kann das einen größeren Einfluss auf die Sicherheit der Produkte haben als die Optimierung eines Dämpfungsmaterials. Hier kann Design über intuitive Bedienung, Reduktion der Funktionen und einen selbstverständlichen Zugang zum Produkt viel für die Sicherheit erreichen.
 

Ganz aktuell: der Kindersitz „Monterey 5“ (Hersteller Diono) ist auf minimales Packmaß ausgelegt, lässt sich einfach bedienen und entspricht der neuesten europäischen Sicherheitsnorm R 129.
 
Letztlich wenden sich diese Produkte an zwei Zielgruppen – an die erwachsenen Käufer*innen und die Kinder. Wie gehen Sie damit um?
Man muss beide Zielgruppen verstehen und berücksichtigen, das ist bei vielen anderen Produkten genauso. Allerdings artikulieren sich Kinder anders, daher beobachten wir bei der Prüfung von Prototypen deren Reaktionen ganz genau.
 
Braucht es dafür eine besondere Empathie?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Eher ist ein kritisches Hinterfragen seiner eigenen Meinung oder Sichtweise notwendig. Um herauszufinden, was Kinder tatsächlich möchten, führen wir immer Tests mit Prototypen, Renderings oder Videos durch. Das können Verbrauchertests an unterschiedlichen Orten sein oder eher informelle Testtage mit Familien auf Workshop-Basis hier bei uns. Da es uns dabei stets um Erkenntnisgewinn geht, etwa zur altersgemäßen Ergonomie, entwickeln wir stets präzise Fragestellungen, die wir als Prüfliste abarbeiten.
 

Ein Tier-Rettungswagen für den Spielwarenhersteller Schleich. Wichitg ist, dass das Produkt zwar archetypische Grundzüge zeigt, aber keine markenspezifische Merkmale aus der realen Welt übernimmt.
 
Können Sie sich an Ihr erstes Kinderprodukt erinnern?
Ja, das entstand im Studium an der HfG Schwäbisch Gmünd, genauer gesagt im Vordiplom. Es handelte sich dabei um ein Dreirad, das sich über Gewichtsverlagerung steuern ließ, etwa so wie bei den später aufgekommenen Laufrädern. Allerdings blieb es damals bei dem Entwurf.
 
Sie sprechen gerne von „sinnhafter Produktentwicklung“ – was verstehen Sie darunter?
Ein Produkt sollte Relevanz für Nutzer*innen und die Gesellschaft haben. Was das im einzelnen bedeutet, kann von Produkt zu Produkt oder von Branche zu Branche unterschiedlich sein. Übergreifende Themen, die sich durch unseren gesamten Entwicklungsprozess ziehen, sind Einfachheit, ein bestmöglichstes Material-Nutzenverhältnis sowie ein logischer und emotionaler Zugang zum Produkt. Schlussendlich sollen Nutzer und Gemeinschaft von einem neuen Produkt profitieren. Wenn Sie einen Kindersitz mit 40 Prozent weniger Volumen konzipieren, dann hat das sowohl einen enormen Effekt auf die Transportkette wie auch auf den alltäglichen Umgang.
Daneben beschäftigt uns immer die Frage, wie man ein Produkt so gestalten kann, dass es eine größtmögliche Selbstverständlichkeit mitbringt. Damit meinen wir, dass es den Alltag der Nutzer vereinfacht, bereichert und sich logisch in sein Umfeld einfügt.
 
Ihren Kunden bieten Sie ein Honorarmodell auf Lizenzbasis an. Wann und warum?
Das Lizenzmodell eignet sich dann, wenn es branchenüblich ist, wenn wir ausgiebige Vorentwicklungen anstellen oder wenn wir für Start-Ups arbeiten, die finanziell noch nicht so gefestigt sind. Nicht nur, aber besonders bei den Kindersitzen starten wir ganz früh mit kundenunabhängigen Vorentwicklungen, die auch technischer Natur sein können und uns das eine oder andere Patent bescheren. Schutzfähige technische Entwicklungen werden häufig über Lizenzen vergütet.
 
Würden Sie sich als Innovationspartner Ihrer Kunden sehen?
Ja, bei mehr als der Hälfte aller Projekte ist das der Hauptgrund für die Zusammenarbeit. Wir versuchen, Innovationen in ihrer Gesamtheit zu sehen und dann in den jeweiligen Kontext zu transferieren. Dafür verfügen wir natürlich über die notwendige Expertise und können in die technische Tiefe gehen.
 
Wie wichtig ist dabei der Austausch mit Hochschulen?
Ich habe ja noch einen Lehrauftrag an der HfG Schwäbisch Gmünd, halte also Kontakt zu unseren Wurzeln und der Lehre. Das ist sehr bereichernd, weil man sich immer wieder auseinandersetzen muss, wie die Studierenden heute denken. Da ziehen wir viele Erkenntisse heraus. Umgekehrt bieten wir den Studierenden hier im Büro direktes Feedback zu ihren Projekten und zum Beruf insgesamt. Nebenbei: viele unserer Mitarbeiter sind Absolventen der HFG Schwäbisch Gmünd.
 
Wie wichtig sind für Sie Designauszeichnungen wie der Focus Open, bei dem Ihre Produkte regelmäßig prämiert werden?
Die sind sehr wichtig für uns, sofern dort sachlich und fachlich gut gearbeitet wird, so wie beim Focus Open. Die Design-Awards sind so etwas wie Foren, wo sich die Branche trifft und sich austauschen kann. An solchen Events fehlt es etwas, was sicher auch mit unserer kleinteiligen Branchenstruktur zu tun hat. Relevant sind Awards aber auch für die Kundenpflege und die Neugewinnung, wenn man sie für seine Kommunikation nutzt.


Für den norwegischen Hersteller BeSafe konzipierte whiteID die Babytrage „Haven“ mit Vorwärtsfunktion und patentiertem Luftpolstersystem, das die Anpassung an die Größe des Kindes erlaubt. Das Produkt wurde in enger Zusammenarbeit mit Trageschulen entwickelt und erhielt den Focus Open Silver 2020.

whiteID

Das Designbüro in Schorndorf wurde vor rund 20 Jahren gegründet – heute leiten Andreas Hess und Sebastian Schnabel das Unternehmen mit ihren zehn Mitarbeiter*innen. Beide Geschäftsführer haben einst an der HfG Schwäbisch Gmünd studiert. whiteID – ID steht für „Integrated Design“ – konzipiert unterschiedlichste Produkttypen, ein Schwerpunkt sind aber Produkte für die Mobilität, etwa Kindersitze, Babytragen oder Kinderwagen.
www.white-id.com


Geschäftsführer: Andreas Hess und Sebastian Schnabel