yellow design

Design ohne Strategie ist kurzlebige Oberflächlichkeit


2004 gestaltete yellow design die ersten mobilen Navigationsgeräte. Für den japanischen Klimageräte-Giganten Daikin entwickelten die Pforzheimer eine umfassende Produktsprache. Mit Alexander Schlag, CEO des Büros, sprachen wir über den dreiachsigen Designprozess, über Markenerlebnisse und darüber, wie sich das Design im Zeitalter des digitalen Produktverschwindens verändert.
Interview: Armin Scharf

Mit Alexander Schlag zu diskutieren, ist ein besonderes Vergnügen. Der Diplom-Designer und Geschäftsführer von yellow design preist das mehrdimensionale Denken bei der Produktentwicklung und lässt mit pointierten Sätzen aufhorchen. Und er weiß, dass Design sich angesichts der Digitalisierung vom reinen Produkt lösen und multisensorische Erlebnisse in den Blick nehmen muss.
 
Herr Schlag, yellow design gestaltet sowohl Consumer-Produkte genauso wie komplexe Analysesysteme für Labors. Wie verbinden Sie diese zwei Welten?
Wir haben es in beiden Fällen mit den gleichen Nutzern zu tun, nur in unterschiedlichen Rollen. Das verbindet die beiden Produktebenen, denn wer im Privatbereich gute Gestaltung schätzt, möchte das auch in seiner Arbeitsumgebung nicht missen. Da die Wahrnehmung der Produkte gleichen Mechanismen folgt, nehmen wir keine Unterscheidung zwischen Consumer-Produkten und Investitionsgütern vor. Bei letzteren haben wir es oft mit sehr teuren, spezialisierten Produkten zu tun, die nur in kleinen Stückzahlen hergestellt werden. Das schließt aufwendige Werkzeuge zur Herstellung aus, daher sind wir bei solchen Projekten besonders gefordert, unsere Ansprüche – und die unserer Kunden – zu erfüllen.
 
Also keine Spezialisierung trotz komplexer Themen?
Genau. Würden wir uns auf einen bestimmten Produktbereich spezialisieren, dann wären wir zu eindimensional unterwegs. Wir wollen den Menschen schließlich als rationales, aber auch sinnlich-emotionales Wesen ganzheitlich betrachten. Natürlich benötigen wir trotz der Breite tiefe Fachkenntnisse, wir arbeiten uns in die oft spezifischen Anwendungsfälle ein, müssen die technische Funktionsweisen genauso verstehen wie die Aspekte der Produktion und Wirtschaftlichkeit. Erst dann entstehen wirklich sinnfällige Produkte. Je komplexer ein Gerät, umso wichtiger ist das Knowhow.
 

„Auf formale Elemente reduzierte Style Guides sind heute nicht mehr so relevant, weil sie zu statisch sind. Wir schaffen Handlungsrichtlinien und Zielfixierungen, die wiederum die Entwicklung der Marke tragen.“
 
Die Analysesysteme von Bruker sind aufgrund ihrer Funktionalität eher heterogene Produktreihen. Wie lässt sich dennoch eine Art Corporate Design realisieren?
Da wird unsere Arbeit erst so richtig spannend. Aber im Ernst, die Geräte sind funktional höchst komplex, basieren auf unterschiedlichen Technologien und werden nicht nur von Spezialisten, sondern mitunter auch von angelernten Laborkräften bedient. Dazu kommen die langen Lebenszyklen, die in der Regel weit über zehn Jahre hinausgehen. Das heißt, die Geräte dürfen nicht zu zeittypisch gestaltet sein, sonst würden sie neben neuen Typen alt aussehen. Wir nutzen daher verbindende Gesetzmäßigkeiten wie bestimmte Topologien, die sich in der Art Flächenbeziehungen, der Radien und Fügungen ausdrücken. Mit diesem Ansatz, eine Art evolvierendes Corporate Design, lassen sich neue Geräte in bestehende Familien integrieren und weiterentwickeln.
 
Also keine Style Guides mehr?
Die sind nicht mehr so relevant wie früher, weil sie sehr statisch gedacht waren. Design muss sich aber weiterentwickeln können, weil sich unsere Sichtweisen stetig wandeln und sich technologisch viel ändert. Was zum Beispiel machen Sie mit einem Manual, das Regler oder Tasten als Schlüsselelemente definiert, diese aber gar nicht mehr vorhanden sind? Aus unserer Sicht ist es also viel wichtiger, Haltungsrichtlinien und Ziele zu formulieren, ohne die übrigens auch keine Markenentwicklung funktionieren kann.
 

Für Falk haben Sie 2004 ein Navigationstool entwickelt. Ein damals völlig neuer Gerätetypus, der eigentlich nur aus einem Display bestand.
Wir haben damals angefangen, als es derlei Produkte noch gar nicht gab und gewissermaßen einen neuen Typus kreiert. Die Reduktion auf das Displayformat war der Nutzerorientierung geschuldet, denn es sollte auch der Fussnavigation dienen und damit in eine Tasche passen. Daher trieben wir gemeinsam mit den Hardware-Entwicklern die Verkleinerung des ursprünglich sehr viel größeren Konzepts voran.

Die Gestaltung selbst sollte auf der einen Seite nicht laut sein und sich in die Fahrzeuginteriors einordnen, auf der anderen Seite sollte es Markenqualitäten wie Präzision und Zuverlässigkeit repräsentieren. Details spielten da eine große Rolle, also Flächenübergänge oder Radien, schließlich befanden sich die Geräte ganz nah an der Nutzergruppe. Ein Prinzip, das auch heute noch aktuell ist, auch wenn die Navigationsgeräte inzwischen weitgehend von Smartphones ersetzt wurden.
 
Für Daikin, ein japanisches Unternehmen, haben Sie eine Marken- und Designstrategie speziell für den europäischen Markt entwickelt.
Ja, das begann 2008. Man muss dazu wissen, dass Daikin in Sachen Raumklimatisierung zu dieser Zeit bereits weltweit führend war, in Europa jedoch wenig präsent war. Wir haben dann eine soziokulturelle Recherche gestartet, warum die Assimilierung der Technik und der Geräte im europäischen Raum nicht klappt. Kurz gefasst erkannten wir so schnell, dass die Marke Daikin kaum bekannt war und sich niemand eine kistenförmige Klimaanlage an die Wand schrauben wollte. Damit startete die Entwicklung eines Daikin-Markenkerns – erst dann folgte die Konzeption einer Produktsprache mit einer Vision für das Produktportfolio. Anschließend ging es gleich zur Umsetzung in einem ersten Klimagerät, das keine Kiste mehr ist und sich in die europäischen Interieurs sensibler einfügt. Mit diesem Ankerprojekt haben wir dann begonnen – in enger Zusammenarbeit mit dem Daikin-Designteam – über Europa hinaus das ganze Portfolio sukzessive zu entwickeln. Vollständig neu generiert haben wir das Heizsegment des Unternehmens mit einer eng verwandten visuellen Sprache.
 
Apropos Japan: Sie sind dort mit einer eigenen Dependance in Tokio präsent. Warum?
Wir arbeiten für Kunden, die in beiden Regionen aktiv sind, da ist ein Büro in Japan sinnvoll. Genau genommen ist Japan unser wichtigster Fernmarkt, in China sind wir dagegen weniger unterwegs. Die Sorgfalt, mit der Dinge angegangen werden, ist in Japan ähnlich stark ausgeprägt wie hier, die Art des Arbeitens verbindet uns also gewissermaßen. Außerdem bin ich persönlich sehr interessiert an der dortigen Kultur. Und meine Frau Kyoko Tanaka, zugleich Assoziierte im Büro, kommt auch aus Japan.
„Als Designer*in muss man sich in technisch komplexe Themen einarbeiten können und diese auch tiefgreifend verstehen. Erst dann entsteht ein sinnfälliges Produkt.“
Zurück zum Design – wie tief können Sie die technischen Strukturen von Projekten beeinflussen?
Das ist unterschiedlich, aber prinzipiell gilt: Je mehr wir eingreifen können, desto besser für das Produkt. Das ist etwas vereinfacht, aber es trifft die Sache schon. Wir bearbeiten mindestens alle Bereiche, die sicht- und bedienbar sind. Können wir aber bei Null beginnen, wird es richtig interessant. Null heißt, wir denken über Produkte nach, die es noch gar nicht gibt, prüfen die Erwartungen der User und die Umsetzungsmöglichkeiten. Dann praktizieren wir Produktgestaltung in seiner ganzen Wortfülle, also ganzheitlich. Ein noch einfaches Beispiel dafür ist der „Tobacco Maker“. Das Gerät entstand von A bis Z komplett bei uns, einschließlich der Konstruktion und der aufwendigen Suche nach Produktionstechniken, die den anspruchsvollen Spritzguss ermöglichen. Überhaupt greifen wir immer wieder auf externe und bewährte Partner zurück, wenn es um produktspezifische Expertise geht. Hier in der Region gibt es für fast alle Aspekte die passenden Spezialisten mit starkem Innovationswillen. Eine für uns ideale Situation.
 
Die Partner tauchen auch im Designprozess auf, den Sie entwickelt haben. Was macht diesen Prozess so besonders?
Wir haben uns intensiv überlegt, wie man die Produktentwicklung generell verbessern könnte. Schnell haben wir erkannt, dass die klassisch-lineare Arbeitsweise, in der ein Schritt auf den nächsten folgt, durch ein paralleles Vorgehen ersetzt werden muss. Das heißt, wir haben stets die drei Achsen Empfänger/Nutzer, Unternehmen/Marke und Herstellung/Wirtschaftlichkeit zeitgleich und bei jedem Projektschritt im Blick. Gerade am Beginn einer Entwicklung bedeutet das mehr Aufwand, weil wir alle Aspekte durchprüfen, insgesamt aber sparen wir viel Zeit und reduzieren die Risiken. Denn es gibt kaum schlimmeres, als im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium sehen zu müssen, dass die geplante Umsetzung gar nicht oder nur mit halbherzigen Kompromissen realisierbar ist. Durch den permanenten Realitätscheck erkennen wir frühzeitig derlei Problempunkte. Ein Produkt muss eigentlich so aussehen können, wie es die erste Skizze zeigt, sonst verkauft man nur Hoffnung.
Die Digitalisierung wird Produkte in ihrer jetzigen Form immer mehr verschwinden lassen. Was bleibt da für das Design zu tun?
Wir werden weiterhin als Zahnrad dienen zwischen Unternehmen und Nutzenden. Unsere Aufgabe war schon immer, Produkt- und Markenerlebnisse zu schaffen, das wird auch weiterhin so sein. Die strategische Seite des Designs gewinnt noch mehr an Bedeutung, ohne Strategie ist Design nur Schmuckwerk mit kurzer Wirkung. Natürlich ändern sich die Ebenen, an denen unsere Gestaltung ansetzen, dramatisch. Wenn die Steuerung eines Geräts oder ein Services über eine App auf einem Smartphone, also einem Fremdgerät, stattfindet, verändert sich die Markenwahrnehmung. Noch stärker ist dieser Effekt bei der Sprachsteuerung über Schnittstellen wie Alexa. Das heißt, die Marke wird vielleicht bald nicht mehr über physische Elemente wahrgenommen, sondern multisensorisch. Wir denken daher schon heute darüber nach, wie Klimageräte durch die Art der Luftaufbereitung unterscheidbar werden. Das Nutzererlebnis definiert sich dann über multisensorische Empfindungen, die wiederum zu Markenerlebnissen werden. Ein komplexes Thema, aber ein spannendes. Entwerfen ist eben nur eine Dimension unseres Berufes. Aber das war ja eigentlich schon immer so.

Yellow design GmbH

Vor rund 45 Jahren gründete Günter Horntrich in Pforzheim yellow design. Seit 2011 ist Alexander Schlag geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens mit Standorten in Pforzheim und Tokio. Die yellow Group umfasst noch yellow design | yellow lab, 1992 in Köln gegründet sowie yellow too in Berlin. Die drei Unternehmen sind prinzipiell unabhängig am Markt unterwegs, arbeiten bei Bedarf auch unmittelbar zusammen, wenn die verschiedenen Kompetenzen gefragt sind.
www.yellowdesign.com


Alexander Schlag I Kyoko Tanaka