.Interview: Armin Scharf
Fotos: Archäologisches Landesmuseum 
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Archäologisches Landesmuseum BADEN-WÜRTTEMBERG Erfolgsgeschichten
Eine wunderschöne Aufgabe.

In Konstanz werden Schätze aus frühen Zeiten gezeigt – aber nicht als spröde Vitrinenexponate, sondern eingebettet in Szenografien, die Geschichten erzählen und so die Annäherung für das Publikum erleichtern. Zuständig für die Gestaltung der Ausstellungen ist Simon Neßler. 2022 wurde die Sonderschau „Magisches Land“ mit dem „FOCUS Silver“ ausgezeichnet. Grund für uns nachzufragen, wie man am Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg (ALM) in Konstanz arbeitet.
 

Impressionen der „FOCUS Silver“-Gewinner-Ausstellung „Magisches Land“
 
Archäologie ist nicht gerade ein Thema, das Massen begeistert. Verlangen archäologische Ausstellungen daher besondere Konzepte?
SIMON NESSLER: Für die breite Öffentlichkeit ist Archäologie von einem Nimbus aus Abenteuer, Geheimnissen sowie Glanz und Gloria umgeben. Das aber gibt nur begrenzt das wieder, wofür die Archäologie stehen kann. Für mich bietet sie sehr lebensnahe Aspekte, schließlich beschäftigt sie sich mit den Hinterlassenschaften unseres vergangenen Lebensflusses. Dabei ist besonders spannend, dass sich dies in der ersten Instanz nicht auf einer versteckten metaphysischen Ebene abspielt, sondern anhand physischer Fundstücke passiert. Erst die Beschäftigung mit den Exponaten destilliert hieraus Beobachtungen und Annahmen, die Wissen und Geschichten formen. In meinen Augen ist das ein unglaublich poetischer Vorgang. Daher sehe ich überhaupt kein Problem, aus dem besonderen Kern und den Stärken der Archäologie Ausstellungsgestaltungen zu formen und Raumkonzepte zu entwickeln, die den Exponaten helfen, ihre Geschichten nach außen zu transportieren.
 
Also geben Sie Narrativen der Vergangenheit einen Rahmen, sich zu entfalten?
SIMON NESSLER: Um sich weiterentwickeln zu können, braucht eine moderne Gesellschaft nicht nur eine zukunftsgewandte Haltung, auch der Blick zurück hilft uns, neue Wege zu finden. Denn so können wir etwas in Bezug setzen, neu bewerten und einordnen. Ich nehme dies als einen wesentlichen Antrieb meiner kuratorischen Kollegen wahr. Sie wollen nicht einfach nur Vergangenheit erzählen, sie wollen ein Abwägen ermöglichen und erreichen, dass wir uns in Bezug zur Vergangenheit setzen und daraus etwas über unser Heute lernen.
 
Gibt es in diesem Prozess denn so etwas wie spezifische Herausforderungen?
SIMON NESSLER: Wie in allen Bereichen der Wissenschaft gibt es auch in der Archäologie keine hundertprozentig gesicherte Deskription der Vergangenheit. Wir können also immer nur den aktuellen Wissenstand ausstellen, so bleiben letzten Endes viele Aussagen auch Thesen. Möchte man dies jedoch vermitteln, so müssen wir aufpassen, dass es nicht zu festgefügt, zu bestimmt und definiert visualisiert wird. Unsere Gestaltung muss zwischen mehreren Zuständen mäandern können – einerseits kann und darf sie klar sein, darf Stellung beziehen, andererseits muss sie sich jedoch auch fluide und nicht ganz greifbar zeigen.

Wir fügen also den „Endprodukten“ äußerst spannende und künstlerische Gesten hinzu. Das ist eine, gerade für einen Gestalter, wunderschöne Aufgabe. Offen gesagt fühle ich mich wie ein Bildhauer, der den Raum so auskleidet, dass er mit seiner Gestaltung die pulsierenden Geschichten befeuert, welche aus den Exponaten der Archäologie strömen. An Punkten, wo es vermeintlich zu konkret wird, kann ein gestalterisches Rauschen erzeugt werden. Archäologie ist also mystisch, inhaltsdicht, lebensnah, majestätisch und beeindruckend. Ich darf ihr mit den Ausstellungen, die ich entwickle, das Gesicht geben. Was für eine schöne Aufgabe!
 
Sprechen Sie dabei bestimmte Zielgruppen an oder eher ein heterogenes Publikum?
SIMON NESSLER: Die Bandbreite der Kanäle, über die man aus der Archäologie heraus Erzählungen akzentuieren kann, ermöglichen es, sie für nahezu jede Zielgruppe zu ertüchtigen. Unsere Projekte versuchen eine so diverse Zielgruppenansprache wie möglich zu erreichen.
 
Welche Rolle spielen Inszenierung und Multimedia bei Ihren Ausstellungen? Wieviel Multimedia bzw. Immersion verträgt Archäologie?
SIMON NESSLER: Es freut mich, an dieser Stelle ein bisschen über unsere Ausstellungsphilosophie zu sprechen, die ich für das Haus entwickelt habe. Für uns ist die Inszenierung, bzw. die Gestaltung im Allgemeinen, ein gleichwertiger und gleichberechtigter Akteur neben den Exponaten. Unsere Ausstellungen werden seither mit diesem Anspruch umgesetzt. Es gibt hier keinen Kampf dieser beiden Pole, sondern eine Verwebung. Die Gestaltung hilft den Exponaten, denn viele Exponate tragen spannende Geschichten in sich, haben es aber manchmal schwer, diese auf den ersten Blick zu enthüllen. Die Ära, als man ein Exponat einfach in eine Vitrine legte und der ganze Zauber dann nur über den Objekttext, eine Führung oder ein einfaches Betrachten geschehen musste, geht glücklicherweise zu Ende.

Natürlich gibt es Exponate, die so kraftvoll sind, dass sie keine zusätzlichen Mittel brauchen, um wirken zu können. Aber viele andere können ihre Strahlkraft erst dann entwickeln, wenn man ihr Umfeld inszenatorisch ertüchtigt. Bei einer Archäologin oder einem Archäologen öffnen sich beim Betrachten eines Objektes hunderte von Schubladen mit Bezügen, Verweisen und Geschichten. Unsere Ausstellungen möchten dieses versteckte Wissen samt den Feinheiten auch für „normale“ Besucherinnen und Besuchern erlebbar machen. Als Gestalter muss ich das versteckte Wissen – die hinter dem Exponat liegende Ebene – aktivieren, betonen und ihr Materialität verleihen. Dies kann durch szenografische Mittel geschehen oder durch mediale Installationen.

Die Immersion ist ein Schlüssel, um Verbundenheit zu den Themen unserer Ausstellungen zu ermöglichen. Im Großen und Ganzen sind es aber die vielgestaltigen Gestaltungsmaßnahmen in Kombination mit den Exponaten, die eine Taktung erzeugen und eine Spannungsdynamik entstehen lassen. Ausstellungen des ALM sollen ein Erlebnis sein, wir hoffen, diesen Anspruch oft genug zu erfüllen.
 

Impressionen der „FOCUS Silver“-Gewinner-Ausstellung „Magisches Land“
 
Wie wichtig sind die großen Sonderausstellungen wie „Magisches Land“ für Ihr Museum?
SIMON NESSLER: Sie sind enorm wichtig. Für mich sind diese Formate wie große Feste, in denen wir unsere Bestände feiern können. Es gibt so viele Facetten, die man in Dauerausstellungen nicht vermitteln kann, weil der Platz und auch der Fokus fehlen.

Sonderausstellungen eignen sich besonders gut, um spannenden Teilaspekten eine große Bühne zu geben.

Gleichzeitig möchten wir mit diesen Ausstellungen den Besuchern und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Wir sind eine Landesinstitution – als diese sehen wir es als einen wesentlichen Auftrag unsererseits an, mit unseren Mitteln das bestmögliche Angebot zu formen. Mit „Magisches Land“ ist uns dies gelungen; es gab so viele rührende Momente, wenn man morgens auf dem Weg zum Büro durch das Besucherbuch am Ende der Ausstellung blätterte und einem einfach Dankbarkeit für das Besuchererlebnis entgegenstrahlte. Für uns war dies sehr berührend, schließlich hatten wir „Magisches Land“ mit einer unglaublichen Detailverliebtheit entwickelt. Es war schön, sehen zu können, dass unsere Intention auch wahrgenommen wurde. Das war eigentlich der größte Dank, den man erwarten konnte.
 
Wann beginnen die Konzeptionsarbeiten für Sonderausstellungen und an welchem Punkt kommen Sie als Designer dazu?
SIMON NESSLER: Große Landesausstellungen laufen in der Regel in einem vier Jahreszyklus ab, große Sonderausstellungen haben Entwicklungszeiten von ein bis drei Jahren. Als Design- und Digitalkurator bin ich vom ersten Moment an Teil der Projekte, das ist durchaus eine ALM-Besonderheit. Wir entwickeln die Ausstellungen zusammen, sodass es in der Regel in jedem Projekt eine Doppelspitze aus inhaltlichen Kuratoren und mir, dem gestalterischen Kurator, gibt.

In meiner täglichen Arbeit bin ich dann für die kreative Supervision all unserer Projekte verantwortlich. Somit stelle ich sicher, dass unsere gestalterische Grundphilosophie überall eingehalten und umgesetzt wird. Hierbei kann es auch Mischformen geben; in vielen Projekten bin ich auch als Entwickler mit an Bord; in manch anderen als Impulsgeber. Denn jedes Projekt hat eine eigene Dynamik und Projektgefüge, auf welche man in unterschiedlicher Weise reagieren muss.

Im kuratorischen Projektalltag ist es Teil meiner Arbeitsphilosophie, auch bei Exponat- und Inhaltsbesprechungen mit dabei zu sein. So erfahre ich von meinen Kollegen, warum sie bestimmte Exponate als besonders wichtig erachten. Ich beginne bereits in diesen frühen Phasen mit meiner Arbeit als Gestalter, auch wenn es noch keinen Szenografie-Entwurf gibt. Mein Beisein hilft auch bei der Selektion der Exponate, denn ich kann so immer wieder das Endformat in die Köpfe rufen.
 






Die Abbildungsreihe zeigt die gestalterische Entwicklung des ersten Hauptbereichs „Verwunschene Plätze“ der Ausstellung „Magisches Land“. Zu sehen sind drei Entwicklungsschritte – angefangen bei der Zeichnung, dann weitergeführt in einem Rendering und schlussendlich, wie es in der Ausstellung aussah.
 
Wie wichtig ist es für ein Museum, einen internen Ausstellungsdesigner zu haben?
SIMON NESSLER: Es gibt dieses Narrativ, dass Gestalter und Wissenschaftler nicht zusammenpassen und die Aushandlungsprozessen, was wie ausgestellt und transportiert werden soll, extrem enden. Ich kann das überhaupt nicht bestätigen, sondern würde eher sagen, dass es ein systemisches Problem ist. Die meisten Häuser haben keine internen Gestalter und kaufen sich diese für Projekte ein – somit müssen Wissenschaftler Entwicklungen leiten, für die sie nicht ausgebildet sind. Dies führt dazu, dass der persönliche Geschmack oft als Normwert erkoren wird, daher die Reibungen bei vielen Projekten.


Simon Neßler, Ausstellungsdesign und Digitalmanagement, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg

Ich verstehe mich als Übersetzer. Um diese visuelle Transferleistung verlustfrei und befriedigend für alle Parteien auszuüben, ist es meiner Meinung nach essenziell, auf kollegialer Basis täglich zusammenzuarbeiten. Wir entwickeln im ALM unsere Projekte jeden Tag gemeinsam weiter, die Kuratoren sind bei gestalterischen Workshops mit dabei und ich bin in inhaltlichen Workshops mit dabei. Dies führt dazu, dass ich nicht „der Gestalter“, dieses „Alien von außerhalb“ bin, sondern zum Teammitglied werde. Meine Kollegen können meine Beweggründe nachvollziehen und lernen diese zu berücksichtigen. Genauso ist es mir im Umkehrschluss möglich, Empathie für ihre Beweggründe und Arbeitsweise zuzulassen.

Dies erleichtert meinen Kollegen auch im Digitalen ihre Arbeit; schließlich ist es ziemlich vermessen, von Wissenschaftlern zu verlangen, allein für die Entwicklung von interaktiven Medienstationen verantwortlich zu sein. Ähnlich wie bei der Entwicklung der Raumbilder, ist Interaction Design ein eigener Studiengang und es zahlt sich aus, wenn man Interaktion sowohl technischer als auch interaktiver Natur planen kann, weil man dies studiert hat. Medienstationen sollten meiner Meinung nach immer über das Niveau eines klickbaren „Glossars“ hinaus reichen. Wer braucht schon ein klickbares Wikipedia in Ausstellungen? Das ist zu Hause auf dem Sofa viel bequemer. Medienstationen müssen in Ausstellungen einen Mehrwert schaffen und dieser ist genau dann erreicht, wenn sie auf intuitive Weise Schlüsselerlebnisse schaffen. So haben wir bei „Magisches Land“ hochwertige 3D-Modelle explorierbar gemacht. Man konnte auf einmal Exponate berühren und auf ihren Oberflächen liegende Informationen freischalten. Solche Stationen schaffen dann eine ganz eigene Relevanz, weil sie Interkationen ermöglichen, die man sonst nicht erfahren kann.
 



Oben: En Skribble der Medienstation „Kessel von Gundestrup“. Unten: Der finale Screen der Anwendung, wie er dann in der Ausstellung „Magisches Land“ zu finden war.
 
Wie wird denn die nächste ALM-Sonderausstellung aussehen?
SIMON NESSLER: Unsere aktuelle Sonderausstellung „Gladiatoren – Helden des Kolosseums“ ist bis Herbst eröffnet. 2024 dann steht das nächste Großprojekt an: Dann wird das Stuttgarter Kunstgebäude am Schlossplatz nach langer Sanierung wiedereröffnet. Die Erstbespielung wird eine große Landesausstellung zur Archäologie sein, die das ALM zusammen mit dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg ausrichten wird. Der Titel der Ausstellung „THE hidden LÄND – Wir im ersten Jahrtausend“ nimmt auf, dass wir nur sehr vage Vorstellungen über das damalige Leben der Menschen haben. Wir werden diese Zeitzone für unsere Besucher inszenatorisch hochwertig beleuchten.
 







Die Abbildungsreihe zeigt Impressionen der aktuelle Sonderausstellung des Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg: „Gladiatoren – Helden des Kolosseums“.
 
Das Konzept für „Magisches Land“ wurde im vergangenen Jahr mit dem „FOCUS Silver“ ausgezeichnet – was bedeutet diese Auszeichnung für das ALM?
SIMON NESSLER: Für uns war das ein bedeutender Schritt, es ist ein starkes Signal dafür, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Es ist schön zu sehen, dass eine unabhängige externe Fachjury die Qualitäten unseres Konzepts erkannt hat. Dies gibt uns Kraft, auch für zukünftige Formate alles zu geben – und vielleicht motiviert es den einen oder anderen, uns bei der Projektentwicklung zu unterstützen – denn eins sei auch gesagt: gute Ausstellungen kosten viel Geld.

 

Bis zum 08. Oktober 2023 zeigt das ALM die Sonderausstellung „Gladiatoren – Helden des Kolosseums“. In Kooperation mit dem ZDF, Terra X und der Firma Faber Courtial wurde unter anderem ein begehbares 360-Grad-Panorama erstellt, das das antike Kolosseum in Rom rekonstruiert. Besucher können sich in der Arena live bewegen – eine einmalige Gelegenheit. Und bis 10. September 2023 sind noch „Burggeschichten“ zu sehen, eine Schau mit Playmobil-Figuren.

Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg
Benediktinerplatz 5
78467 Konstanz

alm-konstanz.de