Interview: Armin Scharf

Wir arbeiten immer an mehreren Themen

2021 erhielt Rökona den Focus Open in Gold für eine neue Textilkollektion, die metallische Effekte bietet, aber ohne metallische Beschichtung auskommt. Doch das mittelständische Unternehmen in Tübingen arbeitet an weiteren Produkten, die Sortenreinheit und neue Problemlösungen und Recyclingfähigkeit geschickt verknüpfen.

Wir sprachen mit Geschäftsführer Arved H. Westerkamp, mit Katharina Schäfer vom Marketing und Carsten Springer, der Designer sowie technischer Entwickler in Personalunion ist.
 
Sie erzeugen mit Ihrer Kollektion „Wirkungsvoll“ einen metallischen Oberflächeneffekt ohne Metall. Wie ist das möglich?
Arved H. Westerkamp: Durch die geschickte Kombination von Handwerk, Wissen und Physik. Entscheidend ist letztlich die Lichtbrechung, die aus der Positionierung der Fäden, deren Oberflächen und Querschnitte resultiert.

Carsten Springer: Variieren wir diese Faktoren, dann entstehen völlig andere optische Wirkungen, etwa verschiedene Metalleffekte. Spannend ist dabei auch, dass identische Gewirke – je nach Betrachtungswinkel – mal matt, mal glänzend erscheinen.
 
Mit welchem Ziel sind Sie in die Entwicklung gegangen?
Katharina Schäfer: Traditionell erreicht man metallische Effekte durch die Metallisierung des Garnes. Doch weil diese Oberflächen zur Oxidation neigen und sehr empfindlich für Fingerprints sind, also auch die Weiterverarbeiter unserer Produkte fordern, haben wie schon lange über Alternativen nachgedacht. Und zwar solche, die auf Polyester-Endlosgarnen basieren, also dem Grundwerkstoff aller unserer Produkte.

Carsten Springer: Die Lösung war das Ergebnis von gezielter Suche und Zufall. Weil wir ja immer mehrere Themen parallel im Kopf haben, können wir Erkenntnisse von einem zum anderen Projekt übertragen. Dieses Denken zeichnet das Design ja generell aus.
 
Die Kollektion hat 2021 den Focus Open in Gold erhalten – auch, weil es sich um ein sortenreines Produkt handelt.
Arved H. Westerkamp: Ja, das war unser primäres Ziel. Produkte, die nur aus einem Werkstoff bestehen, bei uns Polyester, lassen sich besser recyceln und einfacher fertigen. Im Prinzip ist Sortenreinheit nicht neu für uns, wir haben schon lange entsprechendes Knowhow gesammelt. Und jetzt ist die Zeit reif für neue Produkte.
 
 

Fotograf: Benjamin Stollenberg, Ludwigsburg
Wieso jetzt?
Katharina Schäfer: Wir arbeiten ja nicht für uns allein, sondern haben immer unsere Kunden im Blick, die mehrheitlich im Automotive-Bereich aktiv sind. Diese Kunden suchen aktuell nach neuen Optionen, um ihre Produkte zukunftsfähiger zu machen. Wir liefern nun die Materialien dafür.

Arved H. Westerkamp: Wir sind in einem globalen Markt präsent, der sehr stark von Kosten getrieben ist. Auf der anderen Seite besteht ein großer Innovationsdruck, was nicht gerade mit dem Preisdruck konform geht. Wir müssen also unser Portfolio immer entsprechend balancieren und zur richtigen Zeit präsent sein.
 
Sie haben das Recycling angesprochen – das erfordert aber entsprechende Rücklaufsysteme. Wie kommen Ihre Textilmaterialien zurück?
Arved H. Westerkamp: Allgemein lässt sich sagen, dass das Recycling von Textilien noch ganz am Anfang steht. Vor allem Kleidung ist ein großes Problem für die Umwelt, weil immer mehr Ware in kürzeren Zeiten hergestellt und weggeworfen wird. Wir produzieren aber keine Stoffe für Kleidung, sondern technische Textilien, die anderen Zyklen folgen. Werden unsere Produkte in Fahrzeuge eingebaut, dann sind sie so lange in der Nutzung wie die Autos selbst, also rund acht Jahre. Wenn wir von Recyclingfähigkeit sprechen, dann müssen wir auch über diese Zeiträume sprechen und das Gesamtprodukt Auto betrachten. Zum Beispiel, wie unser Produkt eingebaut wurde.
 
Das heißt?
Arved H. Westerkamp: Sie können zwar den Dachhimmel aus unserem Material recyceln, aber erst nach dem Ausbau. Da stoßen wir an Grenzen. Daher haben wir gemeinsam mit unseren Garn-Lieferanten geschaut, bis zu welchem Punkt in der Kette die Rücknahme für uns machbar ist. In der Regel wird dieser Punkt mit der Auslieferung an den Autohersteller erreicht. Wir müssen also mit unseren Kunden gemeinsam Konzepte entwickeln, auch im Hinblick auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Das wiederum wird die positive Folge haben, dass die Rücklauf-Stoffströme, die dem Recycling zur Verfügung stehen, wachsen. Das wiederum wird vor allem chemisches Recycling sein, also Depolymerisation. Momentan sehen wir aber globale Überkapazitäten in der Polyester-Produktion, was Neuware gegenüber Recyclat zu billig macht.
 
Zurück zum Focus Open. Was hat Ihnen die Auszeichnung gebracht?
Katharina Schäfer: Durch den Focus Open haben wir ganz neue Kontakte bekommen, etwa zur Interiorbranche. Das Interesse bei der Preisverleihung war überwältigend, unser Netzwerk ist gewachsen. Außerdem kommt durch den Preis unsere interne Dynamik auch bei neuen Kunden an, was uns wiederum hilft, unser Portfolio weiterzuentwickeln.

Arved H. Westerkamp: Ein Designpreis wirkt auch nach innen, in unser Unternehmen hinein. Wir können so zeigen, dass es sich lohnt, Haltungen und Denkweisen zu ändern. Der Focus Open hilft uns letztlich auch, weitere Veränderungsprozesse im Sinne der Umwelt zu initiieren. Denn wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Der Mittelstand, zu denen ich auch uns zähle, hat die besten Chancen, diesen Shift zu meistern, ohne Greenwashing übrigens. Die Kompetenzen sind schon da, es braucht nur noch Signale, um diese weiter herauszuarbeiten.
 


Foto: Rökana
Welche Branchen sind für Sie als Automotive-Zulieferer denn noch interessant?
Katharina Schäfer: Das Gebäudeinterior beispielsweise. Mit unseren Wirkmaterialien können wir Produkte für Sonnenschutz, für optische oder akustische Abschirmung ausstatten. Daneben sehen wir im Homecare-Bereich ein künftiges Potenzial. Denn mit der Kombination aus Weben und Stricken sind wir in der Lage, ganz spezifische Produktinnovationen zu erzeugen.
 
Welche Innovationen können das sein?
Arved H. Westerkamp: Unsere Stärke liegt in der Verbindung von Technologie, Design und Prozessen. Das werden wir weiter ausbauen. Die Kollektion Wirkungsvoll ist Teil des Re:Space genannten Konzeptes, mit dem wir die Nachhaltigkeit voranbringen.

Katharina Schäfer: Wir haben lange daran an einer Oberfläche mit Wollcharakter gearbeitet, also deren optische und haptische Qualität in Polyester abzubilden. Jetzt haben wir eine Lösung mit sehr warmer Anmutung, die aus Recyclinggarn besteht und keinen zusätzlichen Färbeprozess erfordert.

Carsten Springer: Auch ein anderes Langzeit-Innovationsthema haben wir gelöst. Wir können auf die bisher obligate Schaumschicht bei Auto-Dachhimmeln verzichten. Der Polyurethan-Schaum hinter dem Textil basiert auf problematischen Basisstoffen, neigt über die Jahre zur Hydrolyse, zersetzt sich und vergilbt. Letzteres wirkt sich ungut auf die Optik des Textils aus. Jetzt haben wir ein Material, das ohne Schaum funktioniert und auf dem Prinzip der Abstandstextilien basiert: zwei textile Ebenen sind über senkrecht dazu stehende Abstandsfäden verbunden. Und dieses Produkt kommt genau so aus der Wirkmaschine heraus. Eine tolle Sache, finde ich. Und wenn Sie zum Einbau auch einen Polyester-Kleber nutzen, ist die Sortenreinheit perfekt.

Katharina Schäfer: Und dann haben wir auch noch textile Gewirke, die eine Haptik und Optik wie Leder bieten, aber wiederum auf sortenreinen, recycelten Polyesterfasern bestehen. Dieses Lederimitat stellen wir also ganz anders her als bisherige Verfahren es konnten. Zum Beispiel können wir auch hier auf die nachträgliche Färbung mit all ihren Problemen verzichten.
 
Wie bringt man solche Innovationsvorhaben in einem etablierten Unternehmen voran?
Arved H. Westerkamp: Wir denken modular, schließlich können wir nicht alle Themen zeitgleich aufgreifen. Und wir denken über Produkte hinaus, weil wir das prinzipiell schon immer gemacht haben. Ein Unternehmen ist eben nicht nur eine reine Produktionsmaschine, das hat unser Firmengründer schon so definiert. Wir wollen auch neue Haltungen erzeugen. Und wir wollen auch lokal wirken. Unsere Prozessabwärme speist zum Beispiel das öffentliche Nahwärmenetz in Tübingen, unsere Dächer produzieren photovoltaischen Strom.

Katharina Schäfer: Natürlich tragen wir als Unternehmen eine Art Traditionskoffer mit uns, dessen sind wir uns bewusst. Aber Erfahrung hilft uns, viele Einzelaspekte so zu verknüpfen, dass Innovationen entstehen, die unsere Kunden mitnehmen.

Carsten Springer: Es ist toll, wenn Kunden so begeistert sind, dass sie eigene Ideen beisteuern. Auf diese Weise entsteht eine Art Sog für Neues.

Rökona Textilwerk GmbH & Co. kg

Die Rökona Textilwerk GmbH & Co. KG ging 1963 als Ausgründung aus der inhabergeführten Gerhard Rösch GmbH hervor. Während die Schwesterfirma Rösch Fashion endverbraucherorientiert agiert, bedient Rökona den Markt technischer Textilien mit Schwerpunkt Automobilindustrie. Rökona betreibt am Stammsitz Tübingen neben Entwicklung und Design eine vollstufige Produktion inklusive Ausrüstung und Vertrieb.

www.roekona.de