„Gutes Design erkennt und nutzt Spielräume“

Ulrich Merkle gestaltet Dentalgeräte ebenso wie Autofelgen oder spezielle Komponenten für Schutztürabsicherungen – und verbindet Emotionalität mit Sachlichkeit. Ulrich Merkle ist Produktdesigner, aber auch Maschinenbauer.
Ein Interview von Armin Scharf mit Ulrich Merkle.


Ulrich Merkle
Foto: Klaus Wolter

Wenn Ulrich Merkle auf das kompakte Gerät zeigt, dann wird deutlich, was er als „Schlüssigkeit der Bedienung“ bezeichnet. Das Gerät mit seiner glatten, weiß gefärbten Oberfläche verfügt über einen Spalt entlang seiner Front, an der linken Seite weitet er sich diagonal auf, darüber befindet sich ein schwarz gehaltenes Bedienfeld. Hygopac Plus nennt sich das Gerät, produziert wird es von Dürr Dental, einem schwäbischen Unternehmen, dass sich auf Dentaltechnik spezialisiert hat und zu den festen Kunden von Formstudio in Stuttgart gehört, dem Designbüro Merkles. Beim Hygopac Plus hat der Spalt eine klare Funktion: Hinter ihm verbirgt sich die Schmelzeinheit, mit der die sterilisierten Werkzeuge in den Zahnarztpraxen verpackt werden, die speziellen Kunststoff-Tüten werden einfach durchgezogen und dabei versiegelt. So einfach, so intuitiv die Bedienung, so komplex die Formgebung, die eben keine banale Whitebox darstellt, sondern mehrmals gebrochene Flächen aufweist.                        

Wäre ein quaderförmiges Gehäuse nicht genauso gut gewesen?  
Natürlich nicht. Denn hier geht es ja um die Visualisierung von Qualitäten, um Differenzierung und auch Wertigkeit. Eine banale Kiste ist emotional völlig uninteressant und signalisiert nicht, dass es sich hier um ein hochwertiges Gerät aus deutscher Produktion handelt. Außerdem zeigt es sofort, wie es zu bedienen ist. Links ist die Zufuhr und rechts kommt das verschweisste Package wieder heraus.

Und was sagt der Controller dazu?
Der ist zufrieden, weil das Design keine relevante Kostenerhöhung bringt. Das Gehäuse besteht aus lackiertem Blech, das per Laser zugeschnitten und in einer digitalen Biegeanlage umgeformt wird. Wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass hier unterschiedliche Radien drin sind. Das lässt sich mit dem Verfahren sehr einfach machen. Wir haben sozusagen die Fertigungsmöglichkeiten maximal ausgereizt. Die schwarzen, dreidimensional geformten Seitenkappen werden zwar per Spritzguss hergestellt, dienen aber gleichzeitig der Aufnahme von Komponenten. Hier wirkt das Gehäuse also auch nach innen.

Das Prinzip haben Sie ja schon mehrmals angewendet.                      
Richtig. Bei den kompakt aufgebauten Absauganlagen für Zahnärzte haben wir die Funktionalisierung von Gehäusen bereits erfolgreich durchgespielt. Die Geräte, die mitunter direkt im Behandlungszimmer stehen, bestehen aus einem EPS-Schaumgehäuse, in das bereits alle Kabelkanäle und der Platz für die Komponenten eingeschäumt sind. Das beschleunigt die Montage ungemein, weil die meisten Teile nur noch gesteckt werden müssen. Die Deckschalen wiederum bestehen aus tiefgezogenem Kunststoff. Die Bauweise ist nicht nur kostengünstiger als Spritzguss, sie dämpft auch die Geräusche und Vibrationen des integrierten Radiallüfters.      

Dürr Dental Radialsaugmaschine Tyscor   
Fotos: Formstudio MerklePark                                                
Das freilich ist nur machbar, wenn Sie früh bei der Entwicklung dabei sind.
Idealerweise steige ich in der Phase des technischen Grundlayouts ein. Kommen Sie später hinzu, wäre so etwas wie ein Schaumgehäuse gar nicht mehr machbar. Es geht dabei um grundlegende Fragen der Konstruktion, technisch muss man da aber sehr genau hinschauen können. Das Package eines Produktes beeinflusst wiederum die Design-Möglichkeiten und die spätere Formgebung. Das eine hängt stark mit dem anderen zusammen. Als Designer muss ich Ideen liefern, die ohne Mehrkosten vom Kunden gefertigt werden können.

Dafür sind aber entsprechende Kompetenzen nötig. Kommt Ihnen da Ihr Maschinenbau-Studium zugute?
Sicherlich. Ich denke ja sowohl konstruktiv wie auch gestalterisch. Das Maschinenbaustudium an der RWTH Aachen war eigentlich mein erster Anlauf in Richtung Produktgestaltung, war aber dann doch zu ingenieurmäßig. Daher habe ich anschließend ein Zweitstudium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart absolviert, Kontrastprogramm sozusagen. Mit Klaus Lehmann und Richard Sapper bot mir das Studium aber ein tolles Umfeld zum experimentieren.

2007 haben Sie mit Ihrer Frau das Büro Formstudio Merkle Park gegründet.
Davor habe ich unter anderem bei Karim Rashid in New York und als angestellter Designer gearbeitet.

Hat Rashid Sie beeinflusst?
Als sachlich und funktional geprägter Jungdesigner war das eine tolle Zeit mit vielen neuen Erfahrungen. Vor allem die emotionale Seite des Designs stand dort ganz oben. Tatsächlich versuche ich immer formal komplexere Lösungen zu finden und auch bei technischen Produkten einen organischen Formansatz zu finden. Gerade im Medizinbereich ist das ein wesentlicher Faktor.

Und was genau unterscheidet Sie von anderen Designbüros?
Durch den ausgeprägten naturwissenschaftlichen Hintergrund versuche ich, authentische Lösungen mit Bezug zur Natur oder zur Physik zu ergründen. Das ist meine Basis für funktionsfreundliche Produkte, die sich durch überzeugende Erscheinungsbilder von anderen abheben. Und natürlich tauche ich immer wieder, vor allem auf Reisen, in neue Trend- und Produktwelten ein.

In Ihrem Portfolio finden sich auch Autofelgen. Vom Gestaltungsansatz dürfte das ziemlich konträr zu Medizinprodukten sein.
Felgen sind typische Produkte, bei denen Intuition im Vordergrund steht. Das Wichtigste ist dabei, die neuesten Designtrends des Fahrzeugbereiches aufzunehmen und passende Antworten zu finden. Hier kann man mit CAD-Tools und ein paar gekonnten Linien tolle Dinge machen. Bei Medizinprodukten ist das Design viel techniklastiger, da gilt es weit mehr Vorgaben zu berücksichtigen.

Formstudio Radstyling SAV-Wheel 1004
Stichwort Entwurfsprozess – skizzieren Sie noch?
Die ersten Ideen sammele ich in Handskizzen, dann aber gehe ich schnell in Freiform-Modelling per Rhino über. Das ist ideal für effektive Präsentationen und bietet Schnittstellen zur konstruktiven Ausarbeitung.

Wer sind Ihre Partner auf Kundenseite?
Fast immer sind es die Entwicklungsabteilungen. Ich versuche jedoch immer auch andere Abteilungen zu hören, da es wichtig ist, die unterschiedlichen Sichtweisen in den Unternehmen zu kennen.

Ein Produkt besteht immer häufiger aus Interfaces. Was bedeutet das für Sie?
Das Interface samt der grafischen Bedienoberfläche muss mit dem übrigen Produktdesign eine Einheit bilden. Auch hier ist gekonnte Reduzierung ästhetisch und funktional wichtig.

Gibt es eine Art Wunschprodukt, das Sie gerne gestalten würden?
Wir gestalten ja oft Produkte, für die noch keine vergleichbaren Konzepte existieren. Wir betreten also stets viel Neuland, was sehr spannend ist. Zukünftig würde ich gerne mehr Themen bearbeiten, die direkter mit dem menschlichen Umfeld oder mit visionären Mobilitätslösungen zu tun haben.

Formstudio Merkle Park


2007 von Ulrich Merkle und seiner Frau Mun-Jung Park gegründet, widmet sich das Stuttgarter Designbüro vor allem der Gestaltung technischer Innovationen. Seit 2010 arbeitet Formstudio regelmäßig für das Unternehmen Dürr Dental, das erstmals digitale Oralkameras mit HD-Bildqualität auf den Markt brachte. Das Design mit seinem organischen Formansatz stammt ebenfalls von Ulrich Merkle. Formstudio Merkle Park wurde bereits mehrfach mit dem Internationalen Designpreis Baden-Württemberg (Focus Open) ausgezeichnet.
www.formstudio.de