Fotograf: Benjamin Stollenberg

Mia Seeger Preis 2019 I Ergebnisse


Seit mehr als 30 Jahren lobt die Mia Seeger Stiftung ihren Preis aus - auch 2019 wieder. Wie immer waren Studierende und Absolvent*innen deutscher Hochschulen aus gestalterischen Studiengängen eingeladen. Sie konnten mit Studien- und Abschlussarbeiten teilnehmen, die in den Jahren 2017 bis 2019 entstanden sind. Bei der Bewertung der eingereichten Entwürfe ist neben den üblichen Designkriterien der soziale Nutzen entscheidend. Dass die Stiftung den Preis in der gewohnten Höhe von 10.000 Euro ausloben kann, verdankt sich wie schon mehrmals einer großzügigen Zuwendung des Rat für Formgebung.

In die Jury waren berufen:
Prof. Anne Bergner, Designerin, Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Uta-Micaela Dürig, Journalistin/Kommunikationsmanagerin, Unternehmens- und Stiftungsberaterin, Stuttgart
Elke Weiser, Designerin, Weiser_Design, Stuttgart, Mia Seeger Preisträgerin 1993
Matthis Hamann, Designer, Managing Partner, Fluid GmbH, München
Stefan Lippert, Designer, UP Designstudio, Stuttgart, Mia Seeger Preisträger 1993 und Stipendiat 1993/94
Armin Scharf, Freier Journalist, Tübingen
Oliver Stotz, Industriedesigner, stotz-design, Wuppertal, Mia Seeger Preisträger 1992

Aus 23 Hochschulen waren 52 Entwurfsarbeiten eingegangen. Am 20. März 2019 hatte die Jury ihre Auswahl getroffen. Zwei Bewerbungen erkannte sie den Mia Seeger Preis zu, in vier weiteren Fällen sprach sie eine Anerkennung aus.

Fotograf: Benjamin Stollenberg

Mia Seeger Preis 2019

Dolosal – für Menschen mit Borderline Persönlichkeitsstörung


Entwurf
David Rieche
davidrieche@gmail.com  

Studium/Hochschule
Medical Design M.A.
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein

Aus Sucht nach Schmerz, ritzt einer sich die Haut, blutet, bekommt Narben und leidet noch mehr. Ginge es nicht wenigstens ohne Verletzung? – Hiermit: In ein kleines, handliches Gehäuse ist, von der non-invasiven Chirurgie herkommend, eine Kombination von Cyber Knife und fokussiertem Ultraschall eingebaut. Das Gerät ortet den Schmerznerv und reizt ihn punktgenau. Alles Gewebe bleibt unverletzt. Je kräftiger der Patient drückt, umso heftiger der Reiz. Vibration gibt zusätzlich Rückmeldung. Für die Therapie zeichnet das Gerät die Zeiten und jeweils Intensität der Anwendung auf.

Jury:
Was dem Junkie Methadon, ist dem Schmerzsüchtigen Dolosal. Es klingt nicht nur nach Medikament, es ist im Grunde eines, ein verschreibungspflichtiger Behelf in der Therapie. Neueste Errungenschaften aus der Medizintechnik setzten den Patienten in den Stand, schwer zu ertragende Spannungen unverletzt abzubauen. Ergonomisch perfekt schmiegt sich das kleine Instrument in die Hand und lässt sich unauffällig über die ausgewählte Hautpartie führen. Wüsste man nicht um die Not dahinter, könnte es auch als kosmetisches Accessoire durchgehen.


Mia Seeger Preis 2019

The One Dollar Glasses



Entwurf
Nils Körner
nils.koerner@stud.abk-stuttgart.de
Patrick Henry Nagel
patrick.nagel@stud.abk-stuttgart.de

Studium/Hochschule
Industrial Design
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

Betreuung
Prof. Christophe de la Fontaine
Prof. Aylin Charlott Langreuter

Gegeben eine Biegemaschine, ferner Federstahldraht, Schrumpfschlauch und Polycarbonatgläser. Was lässt sich daraus an Formen für Fassung, Bügel, Steg und Nasenpads einer Brille gewinnen? Der Ertrag ist Zuversicht. Sie reist mit in einer Werkzeug- und Materialkiste. Optiker in Entwicklungsländern erhalten sie, um jedem Bedürftigen seine Brille vor Ort anzufertigen. Beide, Vorstudie und Kiste, sind zum Schluss Gegenstand einer Ausstellung, die für das Projekt One Dollar Glasses von Martin Aufmuth, dem Erfinder der Biegemaschine, wirbt.

Jury:
Produktdesign anders als erwartet: nichts Fertiges, nichts Typisiertes, nur Material, Werkzeug und Bauanleitung für den, der die Brille macht. Und der sie tragen soll, darf mitbestimmen. Erst geht es darum, dass er besser sieht, aber sofort auch darum, dass er sich sehen lassen will mit der neuen Brille. Das Konzept lässt ihm Platz für eigene Applikationen, also für ästhetische Aufwertung. Millionen von Fehlsichtigen soll das Projekt zugute kommen. Nicht ohne mit der Sehkraft auch das Selbstwertgefühl zu stärken, meinen die Designer und helfen mit, ein großes Rad zu drehen. 


Mia Seeger Preis 2019 I Anerkennung

Luui – besser hören, besser verstehen


Entwurf
Miriam Loos
mi.loos@hotmail.de

Studium/Hochschule
Integriertes Produktdesign B.A.
Hochschule Coburg

Betreuung
Prof. Anne Bergner

Egal, ob man sonst gut hört oder schon Hörhilfen braucht, in lärmiger Umgebung wäre Luui willkommen. Das eingebaute Richtmikrofon verbindet sich per Smartphone mit Hörgerät oder Kopfhörer des Nutzers. Am Smartphone auch stellt er es so ein, wie es ihm in der jeweiligen Situation genehm ist. Die App hat für ihn noch eine Lärmunterdrückung, Tipps zum Gehörschutz und ein Übungsprogramm fürs Hörverstehen. Klein und mit Klipp am Körper zu tragen, ist Luui als fertiges Produkt konzipiert, in der größeren Version mit Schlaufe aber für den freien Nachbau.

Jury:
Freilich, etliches von dem, was Luui bietet, wird bald Künstliche Intelligenz leisten. Aber wohl nicht so preiswert. Ein paar Grundeinstellungen werden unvermeidlich bleiben. Viel mehr sind es hier auch nicht. Überhaupt ist drauf geachtet, dass die Funktionen übersichtlich bleiben und mit wenig, zudem gängiger Technik bewerkstelligt werden können. Der modulare Aufbau macht die Geräte reparaturfreundlich. Das größere folgt konsequent der open source Idee und stiftet damit weiteren Nutzen.

Mia Seeger Preis 2019 I Anerkennung

Food Safety Station – Still Fresh Concept


Entwurf
Merle-Christin Leuschner
merle.leuschner@web.de

Studium/Hochschule
Medical Design M.A.
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein

Das Mindeshaltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Lässt sich die Ware noch als frisch verkaufen? – Nach dem still fresh concept für Supermärkte schon. Zum Prüfen steht eine food safety station bereit. Un- oder transparent verpackte Ware kommt auf eine gläserne Ablage und fährt langsam durch ein Portal, in dem Fluoreszenztechnik die Keimbelastung rundum misst und auf der Außenseite anzeigt. Das Personal kann dann negativ markierte Ware aussondern, allen andern Lebensmitteln aber ein Prüfsiegel aufdrücken und sie wieder zum Verkauf im still fresh Bereich auslegen.

Jury:
Das Messprinzip ist bekannt; Scanner für die punktuelle Messung gibt es bereits. Neu ist der Vorschlag, mit der ganz anders konzipierten food safety station den Keimbefall in einer 360°-Analyse zu bestimmen. Das scheint aussichtsreich, zumal genau überlegt ist, wie sich die Messstation in den Weg der Ware im Supermarkt einfügt; mehr noch, wie der Prüfmechanismus dazu führen kann, dass eine beträchtliche Menge an unbedenklich genießbaren Lebensmittel nicht mehr im Müll endet sondern eine Schleife macht – zurück in den Verkaufsraum.


Mia Seeger Preis 2019 I Anerkennung

Erlebnis unbegreiflicher Dinge


Entwurf
Patrick Palčić
www.patrickpalcic.com

Studium/Hochschule
Design M.A.
Universität der Künste Berlin

Betreuung
Prof. Dr. Ingeborg Harms
Dipl.-Des. Johanna Schmeer

Um sich schriftlich mitzuteilen, bleiben dem, der taub und blind ist, Braille und Lormen. Was noch? – Die Erkundung beginnt an der Drehbank: Aus lateinischen Buchstaben werden kleine Figuren, die sich rundum befingern lassen. Der taktile Ansatz öffnet sich zum olfaktorischen: Jeder Duft bekommt eine nach seiner chemischen Formel systematisch komponierte Figur zugewiesen, die anschließend mit eben diesem Duft getränkt wird. Horizontal oder vertikal aneinander gefügt, ergeben sich daraus Duftwörter, Mitteilungen, die tastend und riechend zu lesen sind.

Jury:
Der Popsong Touch me, touch me now gibt die Richtung für ein künstlerisches Projekt vor. Eine Reihe von freien Experimenten umkreisen die Themen Berührung und Duft, bis sie auf den Weg sprachlicher Mitteilung geraten. Intuitive und assoziative Untersuchungen führen anhand figürlicher Entwürfe aus der engen Welt des Tastens in die Weite der Düfte. Die Andeutungen, wie dort sprachliche Kodierung gehen könnte, bleiben eher vage und poetisch. Ein Designer braucht kein Logopäde zu sein. Hier genügt, dass er eine Tür aufgestoßen hat.


Mia Seeger Preis 2019 I Anerkennung

Gestaltungsmöglichkeiten in der sozialen Mensch-Roboter-Interaktion


Entwurf
Franziska Braun
franziska.braun@t-online.de
Carolin Klein
carolinklein2803@gmail.com
Jessica Glombowski
glombowski.jess@gmail.com

Studium/Hochschule
Strategische Gestaltung M.A.
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Dr. Susanne Schade
Dr.-Ing. Matthias Preissner

Mit Blick auf Reha, Altenpflege und Haushalt fragen sich die Autorinnen des Buches, wie Interaktivität mit Robotern zufriedenstellend geht. Den typischen Anwendungsfällen – Begrüßen, Warten und an etwas Erinnern – stellen sie verschiedene Handlungsmuster wie Aufmerken, Zuhören oder Verstehen gegenüber. An drei konkreten Robotern, jeder mit eigener Ausprägung dieser Muster, untersuchen sie in Nutzerbefragungen deren Akzeptanz. Aus den Ergebnissen leiten sie eine Reihe von Empfehlungen zur Gestaltung der Interaktivität sozialer Roboter ab.

Jury:
Eine wichtige Studie und ein schönes Buch. Akribisch und mit langem Atem ist die Untersuchung geführt. Sie gründet in Exkursen zur sozialen Kommunikation, zu Robotik und Pattern Language, fächert das begriffliche Spektrum zur Interaktivität auf und stellt das methodische Rüstzeug für die Befragung bereit, führt diese durch und fasst die Ergebnisse in Hypothesen zusammen. Die Empfehlungen richten sich an alle in die Robotik Involvierten; für beteiligte Designerinnen und Designer sind sie Anregung und Anreiz für eigene Spezifizierung.