Mia Seeger Preis 2022

Zum 31. Mal vergibt die Mia Seeger Stiftung den Mia Seeger Preis über insgesamt 10.000 Euro an junge Designerinnen und Designer. Zum dritten Mal ist die Mia Seeger Stiftung und die Bewerber dafür den digitalen Weg gegangen.

Die Jurorinnen und Juroren haben es sich nicht leicht gemacht, damit aus den 108 Anmeldungen von 29 Hochschulen zum Schluss drei Preise und fünf Anerkennungen hervorgingen. An die eingereichten Arbeiten hatte die Jury neben den üblichen Qualitätsmaßstäben den des sozialen Nutzens anzulegen.

Dem Rat für Formgebung ist es zu danken, dass die Stiftung den Preis wieder in gewohnter Höhe ausschreiben konnte.

Fotograf: Benjamin Stollenberg


Mia Seeger Preis 2022

Vaask - Haarwäsche im Liegen



Entwurf
Helena Kiefer
helena.kiefer@t-online.de

Studium
Industrie-Design Diplom
Hochschule Darmstadt / University of Applied Sciences

Betreuung
Prof. Tom Philipps

Bestehende Hilfsmittel für die Haarwäsche im Liegen in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind häufig unhandlich und zeitraubend. Das ausgezeichnete Diplom-Projekt der Studentin Helena Kiefer widmet sich diesem Problem des pflegerischen Alltags und zeichnet sich durch einen sensiblen Rechercheprozess aus. Mit den von Immobilität Betroffenen und potentiellen Nutzerinnen und Nutzern wird sehr ausführlich gesprochen.

Vaask – ein System zur Haarwäsche im Liegen – löst das Problem. Der Rollwagen enthält Frisch- und Gebrauchtwassertanks und hat Stauraum für Zubehör. Obenauf das Waschbecken. Es ist an einer Seite mit einem weichen Silikoneinsatz für eine ergonomische Nackenauflage versehen. Mit angeschlossenem Ablaufschlauch wird es am Kopfende im Bett platziert. Das Haarewaschen geht dann wie beim Frisör. Besonderes Augenmerk wurde auf die Form- und Farbgestaltung gelegt, die im klinischen Umfeld stimmungsaufhellend wirken.

Jury
Mit diesem Rollwagen passt das Haarewaschen endlich in den Pflegealltag, sowohl im Heim als auch zuhause. Gestalt und Struktur sind selbsterklärend; einer besonderen Schulung bedarf es nicht. „Hygiene ist ein Grundbedürfnis, trägt zum körperlichen Wohlbefinden bei und beschleunigt den Heilungsprozess.“ Unter diesem Leitgedanken der Designerin ist die Aufgabe bestens gelöst und mit angemessenem Aufwand ein empfindlicher Mangel behoben. Bettlägerige wie Pflegekräfte erfahren dadurch Wertschätzung.

 

Mia Seeger Preis 2022

The New Anti



Entwurf
Annika Tessmer
annika.tessmer@gmail.com
Natalie Kohler
natalie_kohler@gmx.net

Studium
Strategische Gestaltung MA
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Dr. Susanne Schade
Prof. Carmen Hartmann-Menzel

Die ausgezeichnete Arbeit „The New Anti“ von Natalie Kohler und Annika Tessmer ist eine Aufklärungsinitiative gegen Populismus. Eine Analyse von typischen Merkmalen populistischer Botschaften in den Medien steht an ihrem Anfang. Dann sucht sie nach den Möglichkeiten, solche Merkmale visuell, also mit grafischen Mitteln, zu markieren und damit die manipulierende Agitation zu entlarven. Aus einzelnen Beispielen, die auf Instagram kommuniziert sind, entsteht eine visuelle Strategie, die erst zu einem Wissenskatalog verdichtet, dann in einem Web-Seminar verbreitet und schließlich in einem Workshop vermittelt wird. Die Initiative richtet sich vorwiegend an junge Menschen.

Jury
Allgemein formulieren die Autorinnen der vorgelegten Studie ihren Anspruch so: „Wie Gestalter eine differenzierte Meinungsbildung in Zeiten eines zunehmenden Populismus unterstützen können.“ In einem Punkt aber werden sie konkreter: Es gilt, populistische Nachrichten mit grafischen Populismus-Markern zu versehen. Der Gegner soll nicht mit den eigenen Waffen, sondern mit seriöseren Mitteln aus dem visuellen Fach geschlagen werden. Das kommt an gut ausgewählten Bildbeispielen sowie im Entwurf einer Kampagne gegen das Dagegensein zum Tragen und bestätigt sich in Interviews mit interessanten Partnerinnen und Partnern. Hierin und in der theoretischen Vorarbeit hat die Arbeit ihre Stärken.

 

Mia Seeger Preis 2022

The Open Dialysis Project



Entwurf
Elias Grieninger
elias.grieninger@gmail.com

Studium
Produktgestaltung BA
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Diplom-Designer Stefan Lippert

Ein Dialysegerät ist teuer. Weltweit haben 80% von über 10 Mio. Menschen, die eine Dialyse-Behandlung brauchen, keinen Zugang zu einer Behandlung. Mit einem mechanischen Grundmodul aus dem 3D Drucker, auf dem standardisierte Filter- und Blutschlauchsysteme montiert werden, wird es eher möglich.
Der Entwicklung des Projekts liegt der Open Source Gedanke zu Grunde. Der Designer stellt die Pläne, Druckdateien, Steuerungsprogramme und alles notwendige technische Know-How als Hilfe zur Selbsthilfe der Welt zur Verfügung. Per Internet sind die Daten verfügbar, so dass vor Ort mit den vorhandenen Mitteln ein Gerät entstehen kann.
Die einzelnen Bauteile inklusive des speziellen Blut-Filters des von Elias Grieninger konzipierten Gerätes sind als Standard-Bauteile weltweit für unter 100 Dollar erhältlich, die Software ist kostenlos, Drucker- und Materialkosten sind überschaubar. Was könnte jetzt noch einer weltweiten Verbreitung im Wege stehen?

Jury
Mit Blick auf die Not in fernen Ländern hat der Designer ein Gerät entwickelt, das in Gestalt seiner eigenen Bauanleitung überall im Eigenbau entstehen kann. Alles dazu Nötige und hier schon Mögliche ist bedacht und vorbereitet. Vor Ort brauchen die Beteiligten freilich noch Initiative, Wissenszugang, Lerneifer, Findigkeit und nicht zuletzt, im regionalen Kontext, viel Geld. Darum sind auch die Kosten bedacht. Glaubhaft belegen sie den Anspruch, mit dem Entwurf zum Abbau der weltweiten Chancenungleichheit beitragen zu können, durchaus im Sinne der „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen.

Mia Seeger Preis 2022 Anerkennung

MonkeyBots




Entwurf
Georg Kloeck
gk@kloeckwork.com
Mohammad Moradi
hi@momoradi.com

Studium
Produkt-Design / Interaction Design
Weißensee Kunsthochschule Berlin

Betreuung
Prof. Carola Zwick

MonkeyBots kommen aus dem Internet der Dinge, kurz IoT. In einen kleinen Würfel ist ein Motor und digitale Technologie integriert. Smartphone mit App machen ihn zum Roboter, der sich von dort aus programmieren und steuern lässt. Mit verschiedenen Aufsätzen, die aus dem 3D Drucker kommen, kann er andere Dinge drehen, schütteln, drücken oder kippen. Ernsthafte und lustige Vorschläge zur Anwendung im persönlichen Umfeld von Erwachsenen und Kindern erläutern das Konzept.

Jury
Eine Technologie, die in der Industrie vielfach und erfolgreich Anwendung findet, öffnet sich auf herzerfrischende Weise der privaten Nutzung. Wer sich damit auskennt und die genannten Gerätschaften hat oder beides sich aneignet, kann recht unkompliziert kleine Helferlein oder Kobolde für Haus und Hof selber bauen. Schnittstellen zu anderen Anwendungen sind mitgedacht.

 

Mia Seeger Preis 2022 Anerkennung

eyeTalk - Kommunizieren im Locked-in Syndrom




Entwurf
Jonas Mahler
Jonas.mahler@hfg.design
Amelie Straubmüller

Studium
Produktgestaltung BA
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Gerhardt Reichert
Vertr. Prof. Andreas Hess
Gastbetreuer Karl-Eugen Siegel

Ein Locked-in Syndrom hat erlitten, wer nichts mehr bewegen kann, meist nur noch die Augen. Andere Signale zum Kommunizieren hat er nicht mehr. eyeTalk registriert sie über Elektroden als Spannungsdifferenzen und meldet sich über Bone Conduction Kopfhörer beim Patienten mit einer Satzerstellungssoftware. Im Hin und Her von sprachlichen Vorschlägen und Augenbewegungen entsteht der beabsichtigte Satz. Für alle Beteiligten hörbar, ertönt er zum Schluss aus der Dockingstation.

Jury
Verständigung durch ein winziges Nadelöhr. In umfangreichen Recherchen im Umfeld betroffener Patienten haben Designerin und Designer doch noch eine Lösung gefunden. Mit der Entscheidung für die Elektrookulografie blieb ihnen eine aufwendige Erfassung von Augenbewegungen mit Kamera und anschließender Bilderkennung erspart. Der Rest war klassische, sorgfältig ausgeführte Entwurfsarbeit, hin zu einer formal perfekten Kombination aus Headset und Tischgerät.

 

Mia Seeger Preis 2022 Anerkennung

repairable by design



Entwurf
David Schöllhorn
david.schoellhorn@icloud.com
Vincent Propst
vincentpropst@gmx.de

Studium
Produktgestaltung BA
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Gabriele N. Reichert
Prof. Matthias Held

Früher war mehr Reparatur. Die Industrie verkauft lieber Neuware. Allmählich regt sich Widerstand. Verbraucherinnen, Verbraucher und Umweltschutz rufen nach dem Gesetzgeber. Doch wie will man Reparierbarkeit definieren? Dazu sind hier vom Produktdesign her Vorschläge erarbeitet, in zehn Richtlinien zusammengefasst. Drei Entwürfe – Ohrhörer, Kaffeeautomat und elektrische Zahnbürste – zeigen, wie die Anwendung der Regeln aussehen können.

Jury
Der Nutzen von Reparierbarkeit liegt auf der Hand: Produkte langlebig machen, Ressourcen schonen, Schrott vermeiden.
Ein wichtiges Thema ist aufgegriffen, interessant bearbeitet und mit den Karten zu brauchbaren Handreichungen verdichtet. Zu beachten ist, dass nicht nur dem Design die Verantwortung in der Sache der Reparierbarkeit zufällt, die ganze Kette aus Marketing, Design, Entwicklung und Herstellung trägt dazu bei. Wobei es allen zugutekommt, wenn im Entwurf schon vorbedacht ist, was im Produkt perfektioniert wird.

 

Mia Seeger Preis 2022 Anerkennung

Paper Pregnancy Test



Entwurf
Yue Zhao
zzzy0504@gmail.com

Studium
Industriedesign MA
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein

Eine Untersuchung gängiger Schwangerschaftstests ergab: Ihr Kernstück ist der Teststreifen, und der ist aus Papier; drumherum, bei Halterung und Verpackung wird mit Plastik nicht gegeizt. Versuche zeigen aber: Recyceltes Papier tut‘s auch, nämlich Pappmaschee für die Streifenhalterung, Karton für die Verpackung. Das Testergebnis lässt sich an zwei kleinen Fenstern mit unmissverständlicher Markierung ablesen. Nach Gebrauch gehört alles zusammen in den kompostierbaren Müll.

Jury
Ein millionenfach gekauftes Produkt wird einer gründlichen Revision unterzogen und nochmals neu gedacht. Es geht auch ohne Plastik! Das ist die Botschaft dieses Entwurfs. Und gilt überall dort, wo nur die Befestigung für einen Teststreifen und eine Verpackung gebraucht wird. In diesem Punkt weist der Entwurf über das Nachweisen einer Schwangerschaft weit hinaus. Die Hersteller von Corona-Tests möchten bitte einen Blick drauf werfen.

 

Mia Seeger Preis 2022 Anerkennung

Theater on Tour

Entwurf
Ezra Dilger
ezra-dilger@gmx.de

Studium
Industrial Design MA
Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle /University of Art and Design

Betreuung
Prof. Guido Englich

Eine Tribüne mit vorgelagerter Bühne, transportabel und einfach auf- und wieder abzubauen, ist Teil eines realisierten Theaterprojekts, das sich der kulturellen Entwicklung „im ländlichen Raum“ verschrieben hat. Das „Kollektiv Plus X e.V.“ zieht von Kleinstadt zu Kleinstadt, nimmt Kontakt zu soziokulturellen Einrichtungen vor Ort auf und initiiert in Kooperation mit ihnen Workshops und Aufführungen. Die Leute, vorwiegend junge, die zur Landflucht neigen, sollen ihre Interessen zur Geltung bringen können.

Jury
Der Entwurf eines fliegenden Gebäudes stellt sich in den Dienst einer sozialen Aufgabe. Als abgewandelter Prototyp gebaut, wird es am jeweiligen Ort für eine Woche zum Kristallisationspunkt für vorbereitete Feste, organisierte Treffen und zwanglose Begegnungen lokaler Institutionen und freier Initiativen, natürlich auch zur Spielstätte für einstudierte Stücke. Es entsteht ein temporärer Ort für Austausch, Begegnung und Diskurs.
Das Projekt überwindet die Grenzen der klassischen Produktgestaltung und ist der wagemutige Versuch, durch ein Objekt eine Intervention in einem nicht gestaltungsaffinen Kontext darzustellen und damit einen Diskurs zu initiieren. Die „Gute Form“ des Objektes ist die Interface-Funktion, die das Objekt zweifellos erfüllt.
 

Mia Seeger Stiftung

Mia Seeger war die „Grande Dame“ des Design. Mit der Weißenhofsiedlung 1927 in Stuttgart begann ihre Laufbahn. Bald war sie an weiteren Ausstellungen des Deutschen Werkbundes beteiligt.

Die Bundesrepublik hat sie vielfach als Kommissarin zu Triennalen in Mailand entsandt und zur ersten Leiterin des Rat für Formgebung berufen, den sie zwölf Jahre lang führte. Sie war selbst keine Designerin, sondern Design-Vermittlerin und -Beraterin. 1986 rief sie die nach ihr benannte Stiftung ins Leben, deren Zweck die Bildung junger Gestalterinnen und Gestalter ist. Namhafte Sponsoren aus der Wirtschaft haben sich ihren Zielen angeschlossen.

Mit der Absicht, besonders den Nachwuchs im Design zu fördern und ihn dabei zur Auseinandersetzung mit sozialen Fragen aufzufordern, schreibt die Stiftung jährlich den Mia Seeger Preis unter dem Motto „was mehr als einem nützt“ aus. Seit Jahren kann sie die Ergebnisse ihres Designwettbewerbs im Rahmen der Ausstellung „Focus Open – Internationaler Designpreis BadenWürttemberg“ präsentieren.

Darüber hinaus erfreut sich die Stiftung schon länger einer vertraglich vereinbarten Kooperation mit dem Rat für Formgebung. Er trägt auch dazu bei, das Wirken der Stiftung, insbesondere die Kontinuität des Mia Seeger Preises finanziell zu sichern. Auch andere Spenderinnen und Spender haben mit einmaligen Zuwendungen dazu beigetragen, 2016 Alexander Neumeister und im Jahr danach die Hans-Schwörer-Stiftung. Wer in dieser oder ähnlicher Weise die gemeinnützige Arbeit der Mia Seeger Stiftung unterstützen möchte, wendet sich am besten an die Geschäftsführerin der Stiftung, Marion Ascherl.

Über ihre Arbeit informiert die Stiftung auf ihrer Internetseite: www.mia-seeger.de

Darüber hinaus gibt es News und Posts rund um Design mit sozialem Anspruch auf: instagram.com/miaseeger