Ergebnisse Mia Seeger Preis 2021

Im Rahmen von Focus Open

Mit der Absicht, besonders den Nachwuchs im Design zu fördern und ihn dabei zur Auseinandersetzung mit sozialen Fragen aufzufordern, schreibt die Mia Seeger Stiftung jährlich den Mia Seeger Preis unter dem Motto „was mehr als einem nützt“ aus. Der Preis ist mit insgesamt 10.000 Euro, dank der Unterstützung des Rat für Formgebung, ausgelobt.

Die Stiftung musste sich aufgrund der Corona Situation erneut aufs Digitale verlegen. Einreichungen nur per Internet, Einrichten von Datenspeichern, Jurieren unterm Bildschirm. An die eingereichten Arbeiten hatte die Jury neben den üblichen Qualitätsmaßstäben den des sozialen Nutzens anzulegen. Es wurden drei Preise und neun Anerkennungen ausgezeichnet.

In die Jury waren berufen:
Prof. Anne Bergner, Designerin, Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Matthis Hamann, Designer, Managing Partner, Fluid GmbH, München
Stefan Lippert, Designer, UP Designstudio, Stuttgart, Mia Seeger Preisträger 1993 und Stipendiat 1993/94
Armin Scharf, Freier Journalist, Tübingen
Oliver Stotz, Industriedesigner, stotz-design.com, Wuppertal, Mia Seeger Preisträger 1992

Die Ergebnisse warem im Rahmen des Focus Open 2021 Internationaler Designpreis Baden-Württemberg vom
9. Oktober bis 21. November 2021 im MIK Museum – Information – Kunst, Eberhardstraße 1, 71634 Ludwigsburg zu sehen.
 

Fotograf: Benjamin Stollenberg, Ludwigsburg

Mia Seeger Preis

Ana – eine Nisthilfe für Hummeln


Bild: Charlotte Schierning

Entwurf
Charlotte Schierning
charlotte.schierning@gmx.de

Studium
Industriedesign, M.A.
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein
Prof. Dr. Norbert M. Schmitz

Eine Höhle aus klimaregulierender Keramik mit einem Einsatz aus Pappe. Beides ist so bemessen, dass eine Hummel darin ihr Nest bauen kann. Ein Instrument der Analyse wird die Nisthilfe durch die Messtechnik am Eingang. Kameras und Sensoren bestimmen Hummelart, Flugfrequenz, Beifang an Pollen, Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Inneren. Datenerhebung und -auswertung sind gedacht für umwelt- und agrarpolitische Programme auf nationaler und europäischer Ebene.

Jury
Natürlich geht es darum, dem Insektensterben gegenzusteuern. Auch die Leute aus der Landwirtschaft werden als zentrale Akteure in die Pflicht genommen: die Nisthilfen aufstellen und pflegen, dort die Daten abrufen und an eine Zentrale übermitteln. Arbeiten, die ihnen angesichts der praktisch geteilten und sehr sympathischen Gehäuseform auch genehm gemacht werden.

 

Mia Seeger Preis

Dialyse unterwegs


Bild: Paola Andrea Aldana Vidal

Entwurf
Paola Andrea Aldana Vidal
paoaldana94@hotmail.com

Studium
Produktdesign, B.A.
Weißensee Kunsthochschule Berlin

Betreuung
Prof. Nils Krüger
Prof. Lucy Norris

Was wie eine ausgepolsterte Weste aussieht, ist als voll funktionsfähiges Dialysegerät konzipiert, für das es normalerweise ein halbes Krankenzimmer braucht. Etliche Komponenten sind eigens so umgestaltet, dass sie sich in das dicht und flach gepackte Ensemble von Behältern, Schläuchen, Ventilen, Pumpen, Aggregaten und Batterien einfügen.

Jury
Eine stationäre Apparatur ist Stück für Stück auf minimalen Platzbedarf und flache Bauweise umgearbeitet – immer mit dem Gedanken daran, wie alles in einem Kleidungsstück tragbar unterzubringen sei. An der Krankheit ändert das nichts, gewinnt ihr aber Unabhängigkeit ab. Wer dennoch Scheu hat, kann die Weste unter Jacke oder Pullover tragen.
 

Mia Seeger Preis

partikular – Unkrautregulierung per Roboter


Bild: Dennis Nogard

Entwurf
Dennis Nogard
dennis@nogard.de

Studium
Produktdesign, M.A.
Weißensee Kunsthochschule Berlin

Betreuung
Prof. Nils Krüger
Prof. Dr. Jörg Petruschat

Ein brückenartiges Konstrukt schiebt sich auf Raupenfahrwerken übers Feld, in der Mitte ein Tank für Split aus Biomaterial (z.B. Maiskolben) mit Schlauchverbindungen zu sechs Sprühköpfen. Mittels Bilderkennung dirigiert die Steuerung die Düsen genau dahin, wo Unkraut wächst. Ein kurzer, kräftiger Strahl splithaltiger Druckluft und die zerschredderten Pflanzen bleiben samt Split als Düngemittel auf dem Feld zurück.

Jury
Starkes Industriedesign für einen Agrarrobotor. Eine intelligente Sprühmechanik macht Herbizide entbehrlich. Selektive Unkrautregulierung löst flächendeckende Unkrautvernichtung ab. Tragwerk und die breiten Raupen sind auf möglichst geringe Bodenbelastung berechnet. Dank Klappmechanik lässt sich auch der Transport von und zum Feld gut bewerkstelligen.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Intimus – Verhütung für den Mann


Bild: Ruben Geörge

Entwurf
Ruben Geörge
rubengeoerge@yahoo.de

Studium
Strategische Gestaltung, M.A.
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Gabriele Niki Reichert
Prof. Dr. habil. Georg Kneer

Verhüterli nein danke. Aber etwas anderes bleibt dem Mann zu tun: Er kann eine Unterhose tragen – mit Heizelement, das die Hoden erwärmt, bis die Spermien steril sind. Ein kleines Prüfgerät verschafft ihm in diesem Punkt Sicherheit. Alles, was er für die thermische Familienplanung braucht, ist in einem Paket zusammengestellt. Eine App hilft ihm bei der Anwendung.

Jury
Ein ernsthaftes Produkt oder eher ein Ablenkungsmanöver in der Gleichberechtigungsdebatte? Der Autor lässt keinen Zweifel. Nach einer materialreichen historisch-soziologischen Recherche zu Sexualität und Verhütung setzt er das aus der Forschung bekannte thermische Verfahren in ein Produkt um und malt sich aus, wie für dessen Akzeptanz zu werben wäre.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Rollaid – Rollator im Alltag


Bild: Mia Pahl und Julian Kufner

Entwurf
Mia Pahl
mia.pahl@hfg-gmuend.de
und
Julian Kufner
julian.kufner@hfg-gmuend.de

Studium
Produktgestaltung
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Dozent Andreas Hess

Wer sich beim Gehen schwertut, kommt im Allgemeinen mit einem handelsüblichen Rollator ganz gut zurecht. Nur beim Aufstehen hilft keiner. Dieser hier schon. Ein zweites Paar Griffe löst das Problem. Dabei bietet sich die Gelegenheit, mit dem Materialmix Metall/Holz dem Rollator einen wohnlicheren Anstrich zu geben.

Jury
Indem sie eine vorhandene stationäre Aufstehhilfe mit ihren Zusatzgriffen ausstatteten, konnten die beiden Studierenden im Test mit einer Seniorin zeigen, dass ihr Ansatz richtig ist. Mehr Alltagstauglichkeit, die auch die Betreuer um ebenso viel entlastet, als sie die Nutzer selbständiger macht.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Pebble – bewegt Senioren


Bild: Jana Koßenjans

Entwurf
Jana Koßenjans
Jana.Kossenjans@web.de

Studium
Industrial Design, B.A.
Hochschule Osnabrück

Betreuung
Prof. Bastian Beate
Prof. Marian Dziubiel

Fit im Alter. Die richtigen Bewegungsübungen vorzuschreiben und die genaue Ausführung mit Sensoren in einem handgeführten Ball zu kontrollieren, das ist mit einer App auf dem Handy gut zu machen. Die Motivation ist das Problem. Ein Trainingspartner, gegen den anzutreten wäre, ist die Lösung.

Jury
Freundliche, ausreichend auffällige Farbe, eingängige Figuren und leichte Sprache sind wohl altersgerecht – state of the art. Der entscheidende Kunstgriff ist aber, die der Ertüchtigung bedürftigen Personen aus der Reserve zu locken: Der Wettbewerb mit einem realen oder fiktiven Partner stachelt ihren Ehrgeiz an.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

reCover – Bewegungsaktive Schulterorthese


Bild: Konstantin Wolf und Min Zhang

Entwurf
Konstantin Wolf
wolf-konstantin1@web.de
und
Min Zhang
minzhang0852@gmail.com

Studium
Integriertes Produktdesign, B.A.
Hochschule Coburg

Betreuung
Prof. Wolfgang Schabbach

Ein Funktionsstrang aus künstlichen CNT-Muskeln mit Drucksensoren umschließt Arm und Schulter. Je nach Bewegungsart erzeugt das textile Material komplexe Bewegungsmuster. Sie unterstützen die Eigenbewegung, ersetzen sie aber nicht. Je weiter die Heilung fortschreitet, umso weniger Unterstützung.

Jury
Als wollte die Orthese zum kranken Muskel sagen: Hilf dir selbst, so helfʼ ich dir. Auf diesem Prinzip baut ein spezielles Konzept von Rehabilitation auf und wird im vorliegenden Entwurf nach sorgfältiger Recherche mit einer Komposition von smarten Materialien intelligent umgesetzt.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Flexion – Reflexe messen


Bild: David Rieche

Entwurf
David Rieche
davidrieche@gmail.com

Studium
Medical Design, M.A.
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein
Prof. Dr. Norbert M. Schmitz

Raffinierte Sensortechnik ersetzt das bekannte Hämmerchen. Jetzt werden nur noch zwei unterschiedlich ausgeprägte Sonden an verschiedenen Hautstellen aufgesetzt. Mit der geeigneten Datenbank im Hintergrund lassen sich aus dem gemessenen Reflexbild frühzeitig neurologische Erkrankungen diagnostizieren.

Jury
Die filigrane Grundgestalt der Instrumente entspricht ihrer Aufgabe, feinste Ströme zu messen. Für Funktionsbereiche wie Kontakte zur Haut, Greifzone und Drehschalter sind jeweils passende Materialien gewählt und deren Oberflächen zweckentsprechend veredelt. Wenn es nicht im Einsatz ist, liegt das hochwertige Besteck in einer gleichwertigen Ladeschale.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Leips – Inklusionsspiel


Bild: Moritz Robert Hartstang und Tara Monheim 

Entwurf
Moritz Robert Hartstang
moritz.hartstang@web.de
und
Tara Monheim
taramonheim@me.com

Studium
Produktgestaltung
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Gerhard Reichert

Ein Spiel, das Menschen mit und ohne Beeinträchtigung spielen können. Ohne dezidiert ein Lernspiel zu sein, bringt es die Spieler dahin, dass sie sich mit Braille, lateinischen Buchstaben und Gebärden verständigen. Die Spielkarten und ein mechanischer Übersetzer helfen dabei.

Jury
Das Spiel trainiert die Hilfsbereitschaft und Kommunikation untereinander. So überbrückt es Arten und Grade von Seh- oder Hörschwäche. Die Beteiligten erleben es als Erfolg, wenn die eigene mit der jeweils anderen Perspektive übereinstimmt. Das befördert die Inklusion.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Vertical Games


Bild: Leo Stolte

Entwurf
Leo Stolte
leo.stolte@uni-weimar.de 

Studium
Produktdesign
Bauhaus-Universität Weimar

Betreuung
Prof. Wolfgang Sattler
Dipl.-Des. Timm Burkhardt

„Nähe auf Distanz“ ist das Motto für dieses Spiel. Spielbrett und -figuren sind aus Kunststofffolie. Die Figuren werden in das Brett eingehängt, dieses mit Saugnäpfen an senkrechten Glasflächen aller Art befestigt – überall wo sich Menschen getrennt durch Scheiben begegnen. Das schafft Gelegenheit zu spielerischer Interaktion.

Jury
Am Lockdown allgemein und speziell an den omnipräsenten, dem Aerosolschutz dienenden Scheiben entzündete sich die Spielidee. Offensichtlich mildert das Spiel die Isolation und hilft, Trennung zu ertragen. Den Anflug von Poesie spürt, wer als Kind gegen kalte Fensterscheiben gehaucht hat.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

Der gläserne Staat


Bild: Julia Sophie Thum und Winona Biber

Entwurf
Julia Sophie Thum
julia-sophie.thum@gmx.de
und
Winona Biber

Studium
Strategische Gestaltung, M.A.
Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd

Betreuung
Prof. Gabriele Niki Reichert
Prof. Dr. habil. Georg Kneer

In Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien sehen die Autorinnen der Thesis eine Vertrauenskrise und in transparenter Politik ein geeignetes Gegenmittel. Als solches schlagen sie eine Internetplattform vor: „Politik Alert“. Sie informiert aktuell, empfiehlt Formen der Beteiligung, stellt Lehrpläne für Politikwissen auf und bietet Zugang zu geeigneten Datenbanken.

Jury
Eine enorm umfangreiche Arbeit zu einem brennend aktuellen Thema, zugleich ein unübersehbares Engagement für die parlamentarische Demokratie. Der Ansatz „Vertrauen durch Transparenz“ und seine Aufgliederung in fünf Säulen ist plausibel dargelegt und akribisch ausgearbeitet.

 

Mia Seeger Preis 2021 – Anerkennung

WATERePUBLIC – öffentliche Wasserstelle


Bild: Jadwiga Slezak

Entwurf
Jadwiga Slezak
jadjaslezak@gmail.com

Studium
Industriedesign, M.A.
Muthesius Kunsthochschule Kiel

Betreuung
Prof. Detlef Rhein
Prof.in Dr. Annika Frye

Hydranten sind sowieso schon da: für Feuerwehr und Stadtreinigung. Dort eine Zapfsäule für jedermann aufzustellen, an der die Leute trinken, Hände waschen, Gesicht kühlen, Gießwasser für Pflanzen holen, ihre Trinkflasche füllen oder einfach nur herumspritzen können – das würde doch den Platz, die Straße, den Park, den Spielplatz beleben.

Jury
Der Nutzen für das lokale Klima, für die Aufenthaltsqualität an Plätzen und in Straßen ist unbestritten. Die Gestaltung gliedert die Säule klar in Tränke oben und unten die Anschlüsse für die Feuerwehr und zur privaten Nutzung. Zwar schließt sie an das technische Erscheinungsbild roher Hydranten an, mildert es aber dezent ab.

Zur Mia Seeger Stiftung

Mia Seeger war die „Grande Dame“ des Design. Mit der Weißenhofsiedlung 1927 in Stuttgart begann ihre Laufbahn. Bald war sie an weiteren Ausstellungen des Deutschen Werkbundes beteiligt. Die Bundesrepublik hat sie vielfach als Kommissarin zu Triennalen in Mailand entsandt und zur ersten Leiterin des Rat für Formgebung berufen, den sie zwölf Jahre lang führte. Sie war selbst keine Designerin, sondern Design-Vermittlerin und -Beraterin. 1986 rief sie die nach ihr benannte Stiftung ins Leben, deren Zweck die Bildung junger Gestalterinnen und Gestalter ist. Namhafte Sponsoren aus der Wirtschaft haben sich ihren Zielen angeschlossen.