.
« ZURÜCK

DEUTSCHE INSTITUTE FÜR TEXTIL- UND FASERFORSCHUNG INTERVIEW
ÜBER BIOPOLYMERE, POLYESTER UND ZELLULOSE SPRACHEN WIR MIT DR. FRANK HERMANUTZ UND DR. ANTJE OTA.

„Noch nie waren die Produktionskapazitäten für Polyester so groß wie heute“, sagt Dr. Frank Hermanutz. Er ist Leiter des Kompetenzzentrums Biopolymerwerkstoffe der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung DITF in Denkendorf. Und das, obwohl Biopolymere bereit stehen, die weder Mikroplastik- noch Müllprobleme verursachen. „Biopolymere sind nicht grundsätzlich recycelbar, aber biologisch abbaubar“, sagt seine Stellvertreterin Dr. Antje Ota.
.
Das DITF entwickelt unter anderem Polymere für Fasern aus Biopolymeren. Was eigentlich sind Biopolymere?

DR. FRANK HERMANUTZ: Nach der wissenschaftlichen Definition sind dies Polymere, die in der Natur wachsen. Dazu gehören Gerüstsubstanzen wie Zellulose, aber auch Panzer aus Chitin, Keratin, Alginat oder Spinnenseide. Polylactide auf Basis von Milchsäure hingegen sind keine Biopolymere, sondern biogene Polymere, da das Polylactide in der Natur nicht vorkommt. Solche biogenen Polymere können biologisch abbaubar sein, manche Typen sind es aber leider nicht. Die Natur bietet eine faszinierende Vielfalt an solchen, teils sehr speziellen Stoffen, die entdeckt werden wollen. Wir verfügen eigentlich über einen großen Baukasten, den wir hier am DITF kreativ nutzen.

DR. ANTJE OTA: Ein Polymer ist zunächst eine chemische Verbindung, die sich aus vielen gleichen Bausteinen, den Monomeren, zusammensetzt. Das ist das gemeinsame Merkmal von Biopolymeren und biogenen Kunststoffen wie PLA. Weil aber ein Anteil biogenen Materials von 50 Prozent reicht, um ein Polymer als biogen zu klassifizieren, muss man immer genau hinschauen. Selbst petrobasierte Additive, die in kleinen Mengen zugegeben werden, können störend wirken. Dabei gibt es auch Additive aus natürlichen Quellen, die die entsprechenden Funktionalitäten bieten.

DR. FRANK HERMANUTZ: Für den Brandschutz beispielsweise werden meist synthetische Additive eingesetzt, man kann aber auch schauen, wie das Bäume machen und ein biologisches Additiv entwickeln. Das Problem: biogene Additive sind teurer. Das gilt leider auch noch für Biopolymere.
 


Dr. Frank Hermanutz, Leiter des Kompetenzzentrums Biopolymerwerkstoffe der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung DITF in Denkendorf
 

Lassen sich mit Biopolymeren überhaupt alle petrobasierten Kunststoffe substituieren?

DR. FRANK HERMANUTZ: Nein. Nehmen Sie zum Beispiel Kevlar, eine Hochleistungsfaser, deren Eigenschaften so speziell sind, dass sie vermutlich nicht ersetzbar ist. Aber man kann ihre Anwendung auf die wirklich notwendigen Bereiche beschränken. Damit bleiben die Mengen gering, die Rücknahme und das Recycling der hochpreisigen Faser lässt sich gut handhaben. Umgekehrt können auch Biopolymere nicht so einfach substituiert werden. Für Merinowolle etwa existiert kein künstliches Pendant.
 

Und wie steht es um den Faser-Klassiker, dem Polyester?

DR. FRANK HERMANUTZ: Der Ersatz von Polyester für Textilien ist technisch kein Problem. Doch petrobasiertes Polyester ist extrem preiswert, so preiswert, dass der Faserpreis fast vernachlässigbar ist. Wir rechnen mit einer Verdopplung der Polyester-Produktion bis 2030, besonders in China wurden riesige Kapazitäten aufgebaut. Der weltweite Bedarf und auch der Verbrauch an Kleidung steigt nach wie vor. Daran wird sich nichts ändern, es sei denn, die Verbraucher denken um und möchten mikroplastikproduzierende Billigtextilien nicht mehr haben. Oder der Gesetzgeber handelt.
 

Was wären die Alternativen?

DR. FRANK HERMANUTZ: Während Baumwolle zwar biologisch nachwächst, aber mengenmäßig nicht beliebig verfügbar ist, liegt Zellulose nahezu unbegrenzt vor. Wir sprechen da über eine jährliche Menge von zehn Billionen Tonnen, die die Natur produziert. Wir können Zellulose aus bisher ungenutzten Agrarresten extrahieren, aus Stroh zum Beispiel. Dafür gibt es neue, nachhaltige Verfahren.
 




 

Aus Ihrer Forschung?

DR. FRANK HERMANUTZ: Mit dem Projekt „HighPerCell“ haben wir über 15 Jahre ein Verfahren komplett entwickelt und patentiert, um Zellulose zu nutzen und in einen nachhaltigen Filament-Spinnprozess einzubringen. Dieses Verfahren werden wir jetzt mit dem Technikum Laubholz des Landes auf die nächste Stufe bringen, um größere Chargen für die industrielle Implementierung herzustellen. Wir verwerten dabei den eigentlichen Rohstoff aus Baden-Württemberg: Holz, vor allem heimische Buche, die derzeit zum überwiegenden Teil thermisch verwertet wird. Die Bioökonomie-Strategie des Landes treibt die Entwicklung voran, auch für hochwertige Produkte. So sind wir inzwischen in der Lage, aus der Zellulose auch Carbonfasern herzustellen.

DR. ANTJE OTA: Stroh wird heute meist in riesigen Mengen verbrannt, weil es wegen seines Silikatanteils nicht als Futtermittel taugt. Im Rahmen des EU-Verbundprojektes „Hereware“ bereitet unser Partner den Strohzellstoff auf, aus dem wir dann mit unserem neuen Spinnverfahren textile Filamente herstellen. Auch Bäume lassen sich ganzheitlich verwerten, neben der Zellulose also auch das Lignin oder die Hemizellulose. Die Technologien dafür sind da. Und die Industrie ist sehr interessiert an Materialien mit geringem Carbon-Footprint und solchen, die zum Lieferkettengesetz passen. Polyester wird es zwar weiterhin geben, denn wir müssen nicht alles ersetzen. Aber es geht darum zu entscheiden, was sinnvoll ist – und es geht um Design for Recycling. Wir am DITF entwickeln daher in verschiedenen Abteilungen ganz verschiedene Prozesse.
 


Dr. Antje Ota, Stellvertreterin des Kompetenzzentrums Biopolymerwerkstoffe der Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung DITF in Denkendorf
 

Sie haben vorhin Chitin angesprochen. Was hat es damit auf sich?

Dr. Frank Hermanutz: Auch dieses Biopolymer ist reichlich vorhanden, die Natur produziert rund 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Wir können daraus direkt Fasern herstellen, etwa für Medizintechnik-Produkte mit neuen Eigenschaften. Insgesamt sollten wir nicht immer den Ersatz im Blick haben, sondern die neuen Anwendungen, die Biopolymere erst möglich machen.
 

Lassen sich Biopolymere einfacher recyceln oder im Kreislauf führen?

DR. ANTJE OTA: Das kommt darauf an. Biopolymere sind nicht grundsätzlich recycelbar, aber biologisch abbaubar – und sie setzen kein Mikroplastik frei, das über Jahrzehnte nicht abgebaut wird. Fasern aus Zellulose können wir dem chemischen Recycling zuführen, dabei wird die Faser durch ein recycelbares Lösemittel aufgelöst und kann dann wieder zu Endlosfilamenten gesponnen werden. Für jedes Polymer existiert ein optimaler Recyclingprozess, das heute oft praktizierte mechanische Recycling eignet sich nur bis zu einem gewissen Punkt für eine Kreislaufführung, weil die Fasern und damit die Polymerketten immer kürzer werden. Sinnvoller ist da die kombinierte Nutzung verschiedener Recyclingverfahren.
 


 

Erfordert die Verarbeitung von Biopolymeren große Umstellungen?

DR. FRANK HERMANUTZ: Die Kunst ist es, das Biopolymer so vorzubereiten, dass seine Verarbeitung wie gewohnt erfolgen kann und nur Anpassungen bei den Parametern nötig sind. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, allenfalls geht es darum, neues Knowhow zu sammeln. Aber das ist bei jedem neuen Werkstoff so.
 

Wohin können sich Designer:innen wenden, die sich über Biopolymere und deren Eigenschaften informieren möchten?

DR. ANTJE OTA: Gerne an uns! Wir freuen uns auf den Austausch. Und wir haben einiges zu bieten hier in Denkendorf. Nicht nur Fasern, auch Leichtbau-Komposite oder Entwicklungen für Medizin- und Mobilitäts-Anwendungen.

 

DITF (Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung)

Das DITF wurde 1921 in Reutlingen gegründet und zog 1937 nach Denkendorf, dem nach wie vor aktuellen Standort. Unter dem Dach der DITF wird in den drei Forschungsbereichen Textilchemie und Chemiefasern, Textil- und Verfahrenstechnik sowie Management Research an allen textilen Zukunftsthemen gearbeitet. Die angegliederte Produktservice GmbH verbindet als Technologietransferzentrum die Forschung mit dem Markt.
Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf sind eine Stiftung des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg unterstehen.



www.ditf.de