Interview: Christiane Nicolaus und Armin Scharf

 
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RETHINK:DESIGN INTERVIEW
RENÉ BETHMANN UND MARIO SCHLEGEL: „AM ENDE SCHAFFEN WIR EINE SYMBIOSE AUS SICHTBARER NACHHALTIGKEIT UND TATSÄCHLICHER NACHHALTIGKEIT.“


Seit 2012 bereits ist Vaude an seinem Stammsitz in der Nähe von Tettnang klimaneutral. Der Outdoor-Hersteller ist dabei, sein Produktportfolio sukzessive auf recycelte oder biobasierte Materialien umzustellen. Wir sprachen mit dem Designchef Mario Schlegel und dem Innovationsmanager René Bethmann über die Kooperation zwischen Technik und Design, über Lieferketten und die Herausforderung, Innovationen zu beobachten, zu bewerten sowie mit Partnern auf die Schiene zu setzen. Und: Nicht alles, was nachhaltig aussieht, ist auch wirklich nachhaltig.

Übrigens gibt das Unternehmen seine Erfahrungen weiter: Mit der Vaude-Akademie wurde jüngst ein Tool geschaffen, um Unternehmen sowie Institutionen aus anderen Branchen Strategien zu mehr Nachhaltigkeit zu zeigen.
 

Foto: DesignCenter Baden-Württemberg
 
Es heißt, Technik und Gestaltung finden nicht immer so einfach zusammen. Wie läuft das im Hause Vaude, das sich ja ganz der Nachhaltigkeit verschrieben hat?

MARIO SCHLEGEL: Technik ohne Design geht nicht, umgekehrt brauche ich zum Gestalten stets die Technik. Als Gestalter muss ich auch akzeptieren können, dass die Technik mal sagt, so geht das nicht. Das ist aber für mich nicht problematisch.

RENÉ BETHMANN: Am Ende schaffen wir eine Symbiose aus sichtbarer Nachhaltigkeit und tatsächlicher Nachhaltigkeit. Diese Symbiose ist das Ziel, aber der Weg dorthin ist natürlich nicht so einfach. Uns mangelt es nicht an kreativen Ideen, die wir aber jeweils genau bewerten. Ein Gewebe mit Unregelmäßigkeiten sieht vielleicht nachhaltig aus, aber es ist nicht automatisch so, dass es auch wirklich nachhaltig ist. Das führt dann zwischen dem Design und uns Technikern immer wieder zu intensiven Diskussionen, aber grundsätzlich verstehen wir uns natürlich.
 

Womit wir schon beim großen Thema wären. Wie wichtig ist es, dass ein Produkt seinen nachhaltigen Charakter auch erkennbar macht?

RENÉ BETHMANN: Letztlich sollte der Kunde sehen, dass ein Produkt nachhaltig ist, auch ohne einen langen Text lesen zu müssen. Dies zu schaffen, ist nach wie vor eine große Herausforderung.

MARIO SCHLEGEL: Als Designverantwortlicher bin ich der Meinung, dass man diese Qualität sehen muss, aber nicht immer und überall. Die Nachhaltigkeit von heute ist nicht mehr das Schaffell, sondern der Ersatz des bisher aus Erdöl produzierten Materials. Das neue Material erfüllt die funktionalen Aspekte, ist nachhaltiger, sieht aber nahezu gleich aus. Daher ist es wichtig, dass in unserer Kollektion einige Produkte herausragen, die Nachhaltigkeit klar visualisieren. Diese Leuchttürme tragen den ebenso nachhaltigen Rest dann mit.
 




Fotos: Armin Scharf
 

Muss Vaude als starke Marke überhaupt noch Nachhaltigkeit visualisieren?

RENÉ BETHMANN: Es ist ja nicht so, dass alle Menschen Vaude mit Nachhaltigkeit identifizieren. Wir sind stark in der DACH-Region vertreten, in anderen Märkten aber noch nicht so bekannt. Von daher ist es wichtig, dass das Produkt eine gewisse Emotionalität ausstrahlt. Erstelle ich eine 1:1-Kopie eines bewährten Produktes mit nachhaltigen Materialien und man sieht das nicht, habe ich als Kunde erstmal nichts davon. Es gibt mir keinen Mehrwert, mal abgesehen von einem besseren Gefühl, wenn ich die Inhalte ausgelabelt sehe. Durch ein attraktives Design schaffen wir aber eine emotionale Attraktivität und im Idealfall eine höhere Bindung. Das ist das wichtigste Nachhaltigkeitskriterium: ein Produkt so lange wie möglich zu nutzen.
 

Wie lässt sich das alles strategisch verfolgen?

RENÉ BETHMANN: Wir haben klar definierte Firmenziele, die wir regelmäßig weiterentwickeln. Von diesen Firmenzielen erstellen wir als Ableitungen unsere Innovations-Roadmaps für die nächsten Jahre. Die dort fixierten Themen unterfüttern wir mit entsprechenden Technologien. Das läuft nicht als Ein-Personen-Geschichte, es kann sich hier jede und jeder aus dem Unternehmen einbringen. Jede Stimme wird gehört, das ist die Besonderheit hier. Alles wird bewertet und kann in unsere Roadmaps einfließen.


Foto: Armin Scharf
 

Die Innovationsbereiche gliedern sich grundsätzlich in zwei große Sektoren. Der Bereich Komfort und Ergonomie umfasst den sportwissenschaftlichen Bereich sowie die Produktentwicklung. Der zweite Bereich fokussiert nachhaltige Materialien, die wir Green Materials nennen. Da geht es darum, Alternativen zu unseren fossilbasierten Materialien zu finden. Sich vom Öl abzuwenden ist leicht gesagt, aber da wir viele synthetische Materialien einsetzen, ist das ein sehr komplexes Thema. Um die Transformation hinzubekommen, setzen wir nicht nur auf eine Technologie allein, sondern auf mehrere Säulen. Diese müssen sich auch skalieren lassen und zu uns passen.
 

Vaude ist ja kein Hersteller dieser Materialien, sondern Verarbeiter. Wie findet man Zulieferer, die entsprechend der Roadmap mitziehen?

RENÉ BETHMANN: Im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern reden wir nicht nur mit unseren direkten Lieferanten, sondern gehen weiter nach vorne bis zur Rohstoffgewinnung. Denn dort sehen wir die neuen Technologien und Lösungen, die wir künftig benötigen. Wir versuchen dann, diese Ebene mit unseren Zulieferern zusammenzubringen. Am Anfang, das muss ich zugeben, war das sehr herausfordernd, weil wir kein Unternehmen sind, das große Millionenbeträge in eine neue Technologie investieren kann. Es geht uns nicht um Exklusivität, sondern darum, dass neue Technologien auf dem Markt einen großen Anklang finden. So können wir sie auch bei uns besser skalieren. Inzwischen sehen unsere Partner, dass unsere Ideen funktionieren und eine Bereicherung für ihr eigenes Portfolio darstellen.
 


René Bethmann, Innovationsmanager
Foto: Armin Scharf 

 

Nutzen Sie eine fixe Matrix, um Innovationen zu bewerten?

RENÉ BETHMANN: Eine Matrix ist gut, um Erfahrungen und Expertise zu sammeln. Aber momentan entwickeln sich die Technologien extrem schnell weiter, es kommen viele neue Themen hinzu, da muss man flexibel bleiben und sein System anpassen. Ein fester Innovationsprozess wäre da eher hinderlich, wobei Orientierung – siehe Roadmaps – nötig ist, ganz ohne Leitlinien funktioniert Innovation auch nicht.
 

Ist Ihr Label Green Shape nicht eine solche Matrix?

RENÉ BETHMANN: Green Shape ist tatsächlich unser zentrales Ökodesign-Tool, das alle Aspekte betrachtet und Anforderungskriterien definiert. Werden bestimmte Kriterien nicht erfüllt, dann wissen wir, dass es schwierig wird, die Technologie oder das Material zu nutzen. Wobei wir auch immer betrachten, wie sich diese Fälle im Sinne von Green Shape weiterentwickeln lassen. Letztlich ist Green Shape ein lebender Prozess, der den Stand der Technik aufnehmen muss.

Übrigens lassen wir Green Shape gerade extern akkreditieren, damit daraus ein eingetragener Standard wird, dem sich auch andere Firmen anschließen können.
 


Foto: Vaude
 

Also geht Flexibilität vor fixen Abläufen?

RENÉ BETHMANN: Wenn es um wiederkehrende Aufgaben geht, etwa in der Produktion, braucht es definierte Abläufe. Dieses Prozessmanagement gibt es auch bei uns. Wir haben die Prozesse mit den Personen, die dort arbeiten, fest definiert. Das ist uns sehr wichtig, dass dies intern abläuft. Aber überall dort, wo Kreativität gefragt ist, sind feste Prozesse eher hinderlich.
 

Wie arbeitet eigentlich das Design bei Vaude?

MARIO SCHLEGEL: Aktuell haben wir 18 Mitarbeitende im Team, davon 14 Designer:innen. Der Arbeitsbereich ist, grob gesagt, in Bekleidung und Hartware aufgeteilt. Hartware umfasst alles, was nicht direkt am Körper getragen wird, also vom Zelt bis zum Rucksack. Unsere Vorgaben definieren wir selbst. Wir haben 2015 eine Designsprache entwickelt, die mit den Unternehmenszielen und der Marke korreliert. Aktuell überarbeiten wir diese, weil sich alles beschleunigt. Wir haben damals vieles angerissen, etwa die Reparierbarkeit oder die Materialeffizienz. Mittlerweile können wir diese Aspekte dank detaillierten Analysen konkret ausfüllen.
 


Mario Schlegel, Designchef
Foto: Design Center Baden-Württemberg

 

Und wie gehen Sie konkret vor?

MARIO SCHLEGEL: Wir schauen uns zusammen mit dem Produktmanagement Lücken oder Schwachstellen an, erstellen ein Briefing, stimmen das mit dem Vertrieb ab – und dann geht es klassisch los mit dem Design. An dieser Stelle kommen auch die Innovationskollegen ins Spiel und steuern neue Lösungsansätze bei. Die Kollektionspflege wird auch von Nachhaltigkeitsgründen angetrieben, wir stellen nach und nach ganz viele Produkte in ihrer Materialität um. Und wenn ich schon ein Material wechsle, kann ich auch gleich überlegen, was ich insgesamt optimieren kann.

RENÉ BETHMANN: Ein interessantes Projekt ist der Novum 3D, der Prototyp eines Rucksacks, der aus einem komplett neuen Material besteht. Statt textiler Gewebe nutzen wir eine Folie, die verschweißt wird. Und die Rückenpads werden im 3D-Druckverfahren hergestellt. Das ist ein ganz neuer Ansatz. Im ersten Moment sieht das nicht nachhaltiger aus, ist es aber tatsächlich, weil die Folie als Monomaterial besser zu recyceln ist.
 




Fotos: Vaude
 

Apropos Folie. Wie halten Sie es damit bei Verpackungen?

RENÉ BETHMANN: Daran arbeiten wir seit Jahren und haben das Thema von allen Seiten betrachtet. Unsere Verpackungen müssen ja einen bestimmten Zweck erfüllen, beispielsweise sollen die in Asien gefertigten Produkte auf dem Seeweg nicht beschädigt werden. Im Moment stellen wir die Folien auf recycelte Ausgangsmaterialien um. Wir arbeiten darüber hinaus an einem einheitlichen Sammlungsweg für unsere Branche, da diese Verpackungsfolien sehr sortenrein sind. Werden sie separat gesammelt, lassen sie sich besser recyceln. Unsere Verpackungsmaterialien aus Papier und Pappe sind FSC-zertifiziert und wiederverwertbar. Das ist alles nicht ganz optimal, aber Alternativen müssen auch wirklich nachhaltiger sein.

MARIO SCHLEGEL: Das ist ein sehr schönes Thema für den Konflikt zwischen Design und Technik. Die Kollegen können ganz klar vorrechnen, warum eine bestimmte Verpackung die richtige ist. Der Kunde aber sieht das beispielsweise einer Plastikfolie nicht an. Eine Plastiktüte wird immer kritisch gesehen, ich kann aber den Käufern schlecht die ganze Argumentationskette vorrechnen. Es gibt Materialien, die in Sachen Kundenansprache sicher überzeugender sind.
 

Nochmals zurück zum Design. Wie sieht für Sie reparaturgerechtes Gestalten aus?

MARIO SCHLEGEL: Wir haben designintern einen Katalog an Leitlinien erarbeitet, um ein Produkt leichter reparierbar zu machen. Primär heißt das reduzieren, denn was nicht dran ist, kann auch nicht kaputtgehen. Und wir denken modular, so ist nicht gleich das ganze Produkt kaputt, sondern in seinen Einzelteilen ersetzbar. Wir arbeiten mit möglichst vielen Standardteilen bzw. mit Ersatzteilen, die leicht erhältlich sind. Ganz wichtig: Wir ermitteln mit unserer internen Reparaturwerkstatt, wo Schwachstellen sind und wie wir diese konkret entfernen können.

RENÉ BETHMANN: Lassen sich Komponenten leicht separieren, können die unterschiedlichen Materialien später gut über spezifische Entsorgungswege rückgeführt werden. Das ist ein schöner Nebeneffekt und ein spannender Aspekt an der Reparierbarkeit.
 


Foto: Armin Scharf
 

Braucht man als Designerin und Designer mehr Kompetenzen in Sachen Nachhaltigkeit?

MARIO SCHLEGEL: Ja! Für mich ist wichtig, was vor und nach dem Produkt passiert. Als Designer kann ich Einfluss darauf nehmen, welches Material verwendet wird, welcher Prozess genutzt, welcher Fußabdruck in den verfügbaren Herstellungsverfahren schlummert. Und am Ende der Nutzung, nach hoffentlich vielen Reparaturschleifen, geht es darum, wo das Produkt hingeht. Designerinnen und Designer müssen da unbedingt hinschauen, auch wenn es unbequem ist. Übrigens nicht nur mit dem technischen, sondern auch mit dem sozialen Blick. Design, das nur schön und funktional ist, reicht schon lange nicht mehr.

Wir werden hier immer wieder geschult und haben alle Informationen verfügbar, das ist eine komfortable Lage. Wenn wir externe Designer involvieren, dann erwarten wir natürlich auch von ihnen entsprechende Kompetenzen. Freie Designerinnen und Designer müssen ihr Wissen und Know-how auf eigene Faust aktuell halten.

RENÉ BETHMANN: Es braucht ganz klar neue Skills im Sinne eines ganzheitlichen Designs. Zum Beispiel gehört auch dazu, selbst Öko-Bilanzierungen überschlägig zu erstellen, um die Auswirkungen abschätzen zu können. Man muss in Austausch gehen mit Instituten, der Forschung, Lieferanten und vorgelagerten Lieferketten. Fachmessen und Konferenzen sind dafür enorm wichtig. Das ist sicher eine Herausforderung, aber es macht auch Spaß, sich neue Kompetenzen anzueignen. Und ja, auch das Literaturstudium gehört dazu.
 

Ist es also wichtig, Kontakte zur Forschung und Entwicklung aufzubauen?

RENÉ BETHMANN: Es ist unabdingbar, mit Externen zusammenzuarbeiten. Auch Grundlagenforschung kann interessant sein, weil sie zu einem allgemein besseren Verständnis beiträgt. Wir brauchen dies, um abzuschätzen, was machbar ist und wo es sich lohnt, unsere Energie einzusetzen. Für uns ist das immer auch ein Lernen, übrigens auch andersherum, weil Forscherinnen und Forscher unsere Sichtweise auf Produkte und den Markt zurückgespielt bekommen. Die größten Erfolgsaussichten haben wir immer bei Forschungsprojekten, in denen Partner entlang der gesamten Wertschöpfungskette involviert sind. Schließlich hat jeder ein wirtschaftliches Interesse daran, dass sich die Technologie etabliert.
 




Fotos: Vaude
 

Letzte Frage: Wie sollte ein KMU vorgehen, um in Sachen Nachhaltigkeit weiterzukommen?

RENÉ BETHMANN: Entscheidend ist, dass diese Entwicklung vom Management gewollt ist und getragen wird. Gleichzeitig müssen in diesen Transformationsprozess alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden werden, damit alle dahinterstehen können. Wichtig ist die Transparenz: Wenn auf kritische Fragen keine Antworten gegeben werden können, ist man angreifbar. Mit Wissensaufbau und stetigem Lernprozess, agil und dynamisch, schafft man es, neue Technologien besser zu bewerten und nach außen argumentativ zu vertreten. Letztlich muss jedes Unternehmen Nachhaltigkeit für sich selbst definieren.

MARIO SCHLEGEL: Ich glaube, viele haben Angst davor, etwas falsch zu machen. Nachhaltig zu werden ist aber etwas Relatives, nichts Absolutes. Ich kann immer nur versuchen, das, was ich tue, besser zu machen. Um den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren müssen die Stellschrauben im Unternehmen identifiziert und definieren werden. Und natürlich gilt es, bereit zu sein, neue Fahrwasser zu begehen.

Vaude Sport GmbH & Co. KG

1974 gründet Albrecht von Dewitz das Unternehmen, zu den ersten Produkten gehören Rucksäcke für den Bergsport. 1980 zieht Vaude nach Obereisenbach in der Nähe von Tettnang, das Produktprogramm wird sukzessive ausgebaut. 2001 öffnet in Koopertaion mit der Stadt Tettnang das Vaude-Kinderhaus und beginnt die Produktion nach dem Bluesign-Umweltstandard. Seit 2009 führt Antje von Dewitz das Unternehmen und führt es konsequent auf den Weg zur Nachhaltigkeit. Seit 2012 ist das Unternehmen am Standort Obereisenbach klimaneutral, seit 2022 ist zudem das komplette Produktsortiment klimaneutral. Aktuell nicht vermeidbare Emissionen werden über die Non-Profit-Organisation myclimate kompensiert. Für faire Produktionsverhältnisse in Fernost wird das Unternehmen 2015 von der Fair Wear Foundation mit dem Leader-Status ausgezeichnet.

www.vaude.com
 


Quelle: Vaude

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www.nachhaltigkeitsbericht.vaude.com